45 Quadratkilometer Eigenheim-Idylle?

■ Soll Berlin eine Stadt der Eigenheimbesitzer werden? / Bausenator Nagel (SPD) hält entsprechende Zukunftsentwürfe von CDU-Politikern für wirklichkeitsfremden Unsinn

Leitet der Senat klammheimlich eine städtebauliche Wende ein? Zunächst hatte Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) vor vier Wochen angekündigt, man werde künftig bevorzugt landeseigene Grundstücke für den Eigenheimbau zur Verfügung stellen. Derzeit ist Berlin bei den Zahlen der Eigenheimbesitzer gegenüber westdeutschen Städten weit im Rückstand – vor allem eine Folge der jahrzehntelangen Insellage Berlins mit begrenztem Baugrund.

Dann folgte Umweltstaatssekretär Wolfgang Branoner (CDU), der im „Montagsinterview“ der „Morgenpost“ behauptete, der Senat setze verstärkt auf den Bau von Eigenheimen, um den Berliner Wohnungsmarkt zu entlasten. Bis zum Jahre 2010, so sagte der Umweltstaatssekretär an, solle jede achte Wohnung im Eigenheimbau entstehen. Den Bau von mehr als 100.000 Eigenheimen kündigte schließlich Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) an.

taz: Liegt die bauliche Zukunft der Stadt beim Eigenheimbau, wie verschiedene Äußerungen – etwa des Umweltstaatssekretärs Branoner (CDU) – glauben machen könnten?

Wolfgang Nagel: Wir wollen keinen Streit anfangen; das nutzt keinem, insbesondere nicht der Stadt. Aber die Äußerungen von Staatssekretär Branoner am vergangenen Montag erinnern mich an die Montagsautos der Automobilindustrie.

Der Senat hat sich auf eine städtebauliche Philosophie verständigt: Nachverdichtung und die Nutzung vorhandener Flächen geht vor Zersiedlung des Umlands. Außerdem fragen wir, wie die neuen Wohnquartiere bei einem sparsamen und ökologisch vernünftigen Umgang mit Flächen aussehen sollen. Wir wollen bei allem Abstimmungsbedarf mit Brandenburg möglichst vielen Leuten erlauben, sich in Berlin anzusiedeln, oder wollen verhindern, daß Leute aus Berlin abwandern. Was sich gegenwärtig an Eigenheimbau rings um Berlin vollzieht, ist nicht dramatisch. Das ist ein normaler Prozeß, den andere Städte schon längst hinter sich haben. Aber zu glauben, daß die Wohnungsbauprobleme der Stadt mit dem Angebot gelöst werden können, Einfamilienhausflächen bereitzustellen – das kann nur jemand vorschlagen, der von der wohnungspolitischen Wirklichkeit keine Ahnung hat.

Auch Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) hat die verstärkte Bereitstellung von landeseigenen Flächen für den Eigenheimbau angekündigt.

Da hat der Finanzsenator offensichtlich den Mund zu voll genommen und ein bißchen zuviel versprochen. Es gibt in dem Umfang gar nicht genug landeseigene Flächen, die man zur Verfügung stellen kann. Wir haben versucht, eine Liste zu erhalten: Wir bekamen eine Liste der Waldflächen und der Sportanlagen – bloß keine Liste der landeseigenen Flächen für den Eigenheimbau.

Bei den Privatgründstücken gibt es natürlich ungeheure Ressourcen am östlichen Rand der Stadt, in Mahlsdorf, Kaulsdorf. Da stehen Einfamilienhäuser teilweise auf 2.000 Quadratmeter. Das sind ideale Gebiete für Wohnungsbau, und eine Nachverdichtung ist auch richtig – aber das ist alles privates Gelände. Da kommt man nur über den privaten Markt ran. Das aber ist ein langwieriger Prozeß, der zur Beseitigung der Wohnungsnot nicht taugt.

Volker Hassemer, Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, ebenfalls CDU, meint, ein Viertel aller in der Zukunft notwendigen neuen Wohnungen, also einhunderttausend von vierhunderttausend Wohungen, sollten im Einfamilienhausbau entstehen.

Das ist wirklichkeitsfremd. Das geht auch an der Nachfrage in Berlin vorbei. Wir begrüßen natürlich jede Eigentumsmaßnahme und wollen das durch öffentliche Mittel und durch Bereitstellung von Flächen fördern. Gleichwohl werden derzeit in dem Umfang, wie wir das erwartet haben, die Förderprogramme gar nicht in Anspruch genommen. Das liegt daran, daß die Bauherren trotz Förderung immer noch zu tief in die eigene Tasche greifen müssen, weil der Eigenheimbau einfach so teuer ist.

Bei der Zahl von anderen Aussagen zum Eigenheimbau muß man fragen, was denn nun wirklich die Ansicht der Landesregierung ist.

Versuchen Sie nicht, Gegensätze zu konstruieren, wo keine sind. Ich bleibe dabei: Wohnungspolitisch ist das eine klare Fehleinschätzung. Ich bin ja nicht gegen Eigenheimbau. Aber wir sehen ja, das es nicht reicht zu sagen, in bestimmten Gegenden will man das haben. Stadtentwicklungspolitisch – wo soll was passieren – liegen wir nicht auseinander. Meine Frage ist nur: Ist der Eigenheimbau ein Beitrag zur Beseitigung der Wohnungsnot? Nehmen wir mal die Zahl von 400.000 Wohnungen, obwohl ich dieser Zahl sehr skeptisch gegenüberstehe. Diese hohe Verdichtung wird auf massive Umsetzungsprobleme stoßen, auch wegen der Akzeptanz bei der Bevölkerung. Einhunderttausend Wohnungen als Eigenheime zu errichten, das halte ich für unrealistisch und auch nicht für nachfrageorientiert. Es kommt hinzu: Wenn man diese Ortsteile in ihrem Erscheinungsbild nicht total verändern will, dann ist dieses Ziel überhaupt nicht erreichbar. Wir haben ausgerechnet, was das bedeutet: Einhunderttausend Einfamilienhäuser mit der notwendigen Infrastruktur bedecken eine Fläche von 45 Quadratkilometern, so groß wie Neukölln und Charlottenburg zusammen.

Wenn man verdichten will, dann muß man konsequenterweise den Kauf von Wohnungseigentum propagieren und dafür attraktive Fördermittel bereitstellen, um diesen von ihren Senatorenkollegen Hassemer und Pieroth suggerierten illusionären Leitbildern einer Stadt der Eigenheimbesitzer entgegenzuwirken.

Diese Programme gibt es bereits. Wir versuchen auch, die Akzeptanz von Eigentumsförderung im Geschoßwohnungsbau dadurch zu erhöhen, indem wir da eine besondere Förderung gewähren. Für viele Menschen ist das Wohnen in der Stadt mit einem urbanen Angebot doch viel attraktiver als ein Eigenheim in der Provinz weit draußen. Das müssen wir politisch unterstützen. Wenn wir Flächen in der Stadt nehmen, beispielsweise das Schöneberger Südgelände, da ist doch die strukturelle Wertigkeit viel größer als draußen am Stadtrand, wo ich erst für sehr viel mehr Kosten eine Infrastruktur schaffen muß, die es in der Stadt bereits gibt und Leute dort eine Stunde zur Arbeit fahren müssen. Deshalb müssen wir viel mutiger sein, was die Nutzung dieser innerstädtischen Flächen angeht – natürlich unter Berücksichtigung der ökologischen Belange der Stadt.

Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski

Siehe Kommentar Seite 21