Ein Angebot ohne Nachfrage?

■ In den USA fusionieren Kabel- und Telefonkonzerne: Sie wollen den interaktiven Höhepunkt

Washington (taz) – Montagmorgen in naher Zukunft: Daddy John Doe arbeitet zu Hause. Gegen neun Uhr taucht sein Chef auf dem Bildschirm auf, um ihn zur Konferenz mit den Kunden zuzuschalten. Mommie Jane Doe hat sich mit einem flüchtigen Kuß in ihr Steuerberatungsbüro im ersten Stock verabschiedet – nicht ohne ihn an den Geburtstag der Tochter zu erinnern: „Leg ihr wenigstens einen Gruß in die E-Mail.“ Gegen Mittag macht Doe ein Päuschen und geht auf Kanal 276 seiner insgesamt 500 Programme einkaufen. Dabei kommt er gerade noch rechtzeitig, um Sohn Jimmy aus dem Kaufrausch zu reißen. Der sitzt zwar in seinem Zimmer vor seinem TV-Laptop, hat sich aber nicht ins Scholastic Network eingeschaltet, um Hausaufgaben zu machen, sondern statt dessen Music Net angewählt. Übers Telefon hat er dank Kenntnis der elterlichen Kreditkartennummer ein Dutzend neuerschienene CDs bestellt. Zur Strafe verschließt Vater Doe mit einem Sperrcode den Zugang zu Kanal 198, der Heimvideothek mit allen in den USA erhältlichen Filmen.

Ob die hier beschriebene Welt schön ist, darüber läßt sich streiten. Sicher ist, sie gehört für immer mehr AmerikanerInnen zur Realität. Telecommuting (Telependeln) heißt das auf neu-amerikanisch. Das Scholastic Network wurde vor drei Wochen von einer New Yorker Verlagsgesellschaft gestartet, offeriert Lehreinheiten und Tests per Computer sowie ein Programm, mit dem SchülerInnen im EDV-Dialog mit Kinderbuchautoren Geschichten schreiben können. Auch Music Net ist längst Realität. Es markiert den Einzug des Fachhandels in das Home- Shopping – Einkaufen per TV und Telefon.

Nur noch die Ausstattung der US-Haushalte mit 500 Programmen ist Zukunftsvision. Doch nicht mehr lange, geht es nach John Malone und Raymond Smith. Malone ist Präsident des größten Kabelanbieters der USA, Tele- Communications Inc., Smith Vorstandsvorsitzender von Bell-Atlantic, der drittgrößten Telefongesellschaft des Landes. Beide verkündeten letzte Woche die Fusion ihrer Konzerne zu einem Kommunikationsgiganten, der nach Ansicht der Zeitschrift Economist das Telekommunikationswesen und damit „die Welt revolutionieren wird“.

Um auf dem Markt Fuß zu fassen, brauchen die Telefongesellschaften die Glasfasertechnologie der Kabelanbieter, die weitaus mehr elektronische Daten transportieren kann. Letztere wiederum können zwar mittlerweile 50 bis 60 Programme einspeisen, sind aber kommunikationstechnoligische Einbahnstraßen: Die Aktivität des Konsumenten bleibt auf An-, Um-und Ausschalten reduziert. Sind Telefon und Computer gepaart, kann der Fernseher zur riesigen Datenbank werden. Sie gewährt den Zugang zu Bibliotheken, Nachrichtendiensten oder hält Tausende von Videospielen und Filmen bereit, die mensch jederzeit abrufen kann, ermöglicht Bankgeschäfte oder Flugreservierungen per Computermaus und Fernbedienung. Last not least, der interaktive Höhepunkt: Mensch kann sich seinen Film selbst entwerfen, indem der TV-Computer verschiedene Optionen für den Handlungsfaden anbietet.

Für diese Medienrevolution die technischen Voraussetzungen zu schaffen kostet Geld. Kabelgesellschaften sind in den USA in der Regel hoch verschuldet, während sich die Telefonkonzerne in den letzten Jahren Finanzpolster zugelegt haben. So ist es kein Wunder, daß sich eine Serie von Firmenfusionen anbahnt: Die Bell South Corporation, Telefonmonopolist im amerikanischen Süden, hat angekündigt, eine Kabelgesellschaft in Texas zu kaufen. US West Inc., ebenfalls eine Telefongesellschaft, will mit 2,5 Milliarden Dollar beim Medien- und Unterhaltungskonzern Time Warner einsteigen.

Solche Elefantenhochzeiten bereiten einigen Politikern Kopfschmerzen: Zusammen könnten TCI und Bell Atlantic fast die Hälfte aller US-Haushalte mit ihrem interaktiven Medienangebot versorgen. Solche Marktanteile entsprechen nicht gerade dem Konzept vom gesunden Wettbewerb. Folglich hat die Fusion, die von den Bundesbehörden erst noch abgesegnet werden muß, im Kongreß bereits den Ruf nach regulierenden Gesetzen laut werden lassen. Auch Vizepräsident Al Gore, einer der großen Verfechter der Super-Highway, der Computervernetzung der AmerikanerInnen, kommentierte den TCI- und Bell-Atlantic-Deal: Man werde noch zu prüfen haben, ob dies den Wettbewerbsbestimmungen entspreche.

Noch ist auch nicht klar, ob diese Vorhaben den Bedürfnissen der KonsumentInnen entsprechen. Was den technologischen Reifegrad angeht, so sind (nicht nur) viele AmerikanerInnen kaum in der Lage, ihren Videorecorder zu programmieren. Kaufhauskonzerne wie J. C. Penney oder Sears Roebuck haben in den letzten Jahren Millionenbeträge in Home- Shopping Programme investiert – und sie dann wieder eingestellt. Die Kundschaft geht meist doch lieber ins Einkaufszentrum, zumal ihnen dort (als Reaktion auf die Konkurrenz durch Home-Shopping) inzwischen nicht nur Waren, sondern auch „Erlebnisräume“ (Restaurants, Konzerte, Game- Shows u.a.) angeboten werden. Aber das stört die Chefs bei TCI und Bell Atlantic nicht. Ihre Devise: Erst wird das Angebot geschaffen, dann die Nachfrage. Andrea Böhm