Achtung! Schlägt mit Blumen!

„Be sure to wear...“: Auf den Rodungen des Achtziger-Jahre-Pops wird wieder Romantik angebaut. Eine besonders erfolgreiche Kreuzung kultiviert San Franciscos „Neo-Folk-Blondine“ Penelope Houston  ■ Von Anke Westphal

Penelope Houston hatte schon ziemlich lange keine Musik mehr gehört. So ist das eben, wenn Ex- boyfriends ausziehen: Stereoanlagen und Platten ziehen mit ihnen, anderen Glücken entgegen, während die Frauen in plötzlich zu teuer werdenden Wohnungen lauter „Zimmer für sich allein“ haben.

Kürzlich hat Penelope Houston sich nun eine eigene Stereoanlage gekauft – bloß einer von vielen zielsicheren Schritten. Die Unentschlossenheit eines neuen Verehrers kommentiert sie mit den Worten: „I've never been a Single for a long time!“ Penelope ist nicht das, was man unsicher nennt. Eher gelassen, sachlich – oder doch nur sehr, sehr müde?

Die Ex-Frontfrau der immer noch legendären Avengers, die als Ostküsten-Punkband nicht nur den Rolling Stone entzückten (bis sie sich 1979 auflösten), steckt mitten in einer elftägigen Promo-Tour durch Deutschland. Anlaß: ihre bevorstehende Tournee. Der erste Interviewer wartete schon am Flughafen Frankfurt auf sie. Das hier ist ihr sechster Tag, und sie mustert die fremde Wohnung, die ihr Berliner Quartier sein wird, ein bißchen überwach. Sie mag es nicht mehr, fotografiert zu werden. Penelope hat auch keine große Lust mehr zu reden. Heute wurde sie von einer Rundfunkmoderatorin gefragt, ob es Vorteile bringe – so als Frau an sich halt –, hübsch und talentiert zu sein wie sie. Höflich ist sie der Frauen-Schiene ausgewichen, die immer kommt, und immer wegen derselben Songzeile: „If it's a man's world, than I'm glad I'm a girl.“ Penelope sieht sich eher als Teil allgemein zu erstrebender Veränderung – was wohl die diplomatischste unter allen möglichen Antworten war.

Doch ihre Höflichkeit hat etwas von Zähnefletschen. Und weiß Gott: Penelope Houston hat sich ja auch verändert. Zunächst einmal überlebte sie den Punk, und zwar mit Anstand und Würde. The Avengers spielten im Januar 1978 beim allerletzten Konzert der Sex Pistols im „Winterland“. Die Avengers-Zeiten liegen immerhin vierzehn Jahre zurück, und Penelope, „the archetypical indomitable rock'n'roll woman“ (so „The New Trouser Press Record Guide“ 1989) hat schon damals nie etwas anderes behauptet, als Musik für den täglichen Gebrauch machen zu wollen. Wenn man Punk als „Volks“-Musikbewegung betrachtet, fabrizierte sie tatsächlich mit schöner Gleichmäßigkeit Musik für die Massen, mittlerweile nur unter verändertem Vorzeichen. Die Kritiker belobigen Penelope darum als „Neo-Folk-Blondine“, die wunderbaren „Akustik-Pop“ spiele. Andere nennen es „Folk- Swing“ oder auch – ganz raffiniert! – „postmodernen Folk“. Nochmal andere jubeln: „Hits! Klassiker! Juwelen!“, wie etwa Spex vor ein paar Wochen anläßlich Houstons zweitem Soloalbum „The Whole World“.

Das erwähnte Fachblatt hat nicht wenig dazu beigetragen, daß der sanfte Sound aus San Francisco in Kreisen gepflegt-kontrollierter Intellektualität wieder zu einiger Beliebtheit aufläuft. Der Slogan „Hit Me With A Flower“, der einen Sampler mit „Neo-Folk“ aus der Bay Area und drumherum ziert, klingt ein bißchen nach einer Sado-Maso-Parodie auf die Westküste: cool, ironisch, „wesentlich“ in der Instrumentierung (da wabert kein Synthesizer) – und dabei doch romantisch! Man kann das letzte heute getrost wieder zugeben, ohne sich öffentlich entschuldigen müssen zu glauben.

Penelope ziert Spex auf dem Titel – und innen auch gleich noch mal solo. Sie freut sich ein bißchen rum, grient (zwischen gelangweilt und uraltweise), gähnt und sagt, sie mache keinen Folk. Sie schreibe, Himmelherrgottnochmal, Lieder, und zwar einfach, um diese hin und wieder zum Vortrage zu bringen. Sie kommt einem, wie sie das sagt, wirklich unglaublich schön vor (und dabei noch begabt!), selbst wenn sie so müde und ein bißchen verzickt ist wie in diesem Augenblick. Penelope Houston kann sich ihre Persönlichkeit leisten, souverän wie jemand, der den eigenen Kult-Status in den Alltag „danach“ zu integrieren weiß. Sie nimmt sich (nicht so wie damals in den wild years, als Rebellen sowas nicht hatten), Zeit. „Be Slow And Wait“, lautet jetzt ihr Wappenspruch. Mit ihrem Manager macht sie einen ausgiebigen Ausflug nach Polen. Und fängt, wenn sie in Ruhe gelassen wird, nächtens in der Wohnküche ganz von alleine an zu schnattern. Über boyfriends.

Bloß über ihre Musik verweigert sie immer noch sinnstiftende Kommunikation. Vielleicht mal mit „Singer/Songwriter“ versuchen? Oder ganz direkt: „Akustik- Szene“? In der Situation, in der wir uns jetzt befinden, ist Penelope hungrig, und es muß vegetarisch sein. Das chinesische Essen in Ostberlin schmecke genauso wie das in San Francisco, konstatiert sie mit angestrengt linierter Stirn. Ja, „Birdboys“, ihr Debüt, liege ja nun auch schon fünf Jahre zurück.

Um „Birdboys“ gab es seinerzeit viel anerkennenden Lärm, schien die Platte doch das Akustik- Revival nach all den an-gepluggten Jahren vorwegzunehmen. Vor „Birdboys“ machte Penelope ein paar Abstecher in die Film- und Videobranche. Nein, sie wisse nicht, was aus den Videos geworden sei; jedenfalls hatte sie die Musik dafür komponiert und gesungen. Mit Hollywood sei das ganz und gar nicht in Verbindung zu bringen, auch wenn sie 1958 in Los Angeles geboren worden sei. Ach, Hollywood und Seattle (wo sie auch mal ihre Zelte aufschlug) und San Francisco: all diese Namen.

Wobei – San Francisco, das ist plötzlich verbindlich für jemanden wie sie, die früher alle drei Jahre umzog. In San Francisco lebten und leben all ihre Freunde: Sonya Hunter, Barbara Manning, Chris Cacavas, der unterschätzte American Music Club, X-Tal, Terry Lee Hale. Pat Thomas, der jetzt in Bonn wohnt... Ihre Freunde teilen auch die Plattenfirmen mit ihr (in den Staaten „Heyday“, in Deutschland „Normal“). Die San-Francisco-Connection sei wohl etwas wie Familie: man trifft sich an der Ecke und hilft sich mit den Jobs. Barbara Manning jobbte in einem Plattenladen, und Penelope selbst bearbeitete an zwei Tagen die Woche in der öffentlichen Bibliothek Rechercheaufträge, die aus Berkeley kommen. Alles genau so, wie sie (nur metaphorisch abgefüttert) singt: „...you can't live on borrowed time.“

Houston ist der wandelnde Beleg für die These von der Normalität als Freakigkeit, der Verschiebung vom glamourösen „Kuß Hollywoods“, wie es Julie Burchill mal beschrieb, zu den alltäglichen Auftritten des Charismas. Penelope wird auch im Oktober und November kein Futter sein für „organisierte Gaff-Touren“, auf denen das Publikum nach Exzentrik giert. Sie selbst hält sich eher für straight und romantisch: brandenburgische Alleen hinabwandeln, die im Sonnenuntergang liegen, oder Bacharach am Rhein anhören – wenn nicht sogar Dusty Springfield und Lucinda Williams. Andererseits: „Put your ear to the ground!“, wie es in einem ihrer Songs heißt. Die Frau kann sich abgrenzen!

Nun gut, die Stereoanlage steht wieder in dem Haus an der Anderson Street, dessen Räume die studierte Kunstmalerin Houston absichtlich und mit Genuß gaaaanz langsam füllt („Sind Stühle denn unbedingt nötig...?“). Außer der emptyness liebt sie Sonnenblumen. Und Piktogramme; völlig vernarrt starrt sie das Männchen in der Ampel an. In den USA heißt es nur trocken „DON'T WALK“ – „WALK!“.

Mit dem Musikhören sei das so: Sie müsse sich zwanghaft immer vorstellen, wie sie es machen würde mit einem Song, und „that's not really fun!“ Außerdem gebe sie ohnehin wenig Geld aus für Sachen. Und das stimmt. Gaaanz langsam sucht sie in Berliner Läden nach CDs. Schließlich sei das ja auch schon wieder so „dienstlich“ – wie die Sorgen über die anstehende Tour: „I've never sung that much!“

PS: Natürlich wird sie das auch schaffen.

Tourtermine:

22.10.: Bielefeld, Mühlenkamp

23.10.: Essen, Zech Carl

24.10.: Frankfurt, Negativ

25.10.: Fulda, Kreuz-Saal

26.10.: Karlsruhe, Jubez

27.10.: Linz (A), Posthof

28.10.: Wien (A), Szene

29.10.: Salzburg (A), Nonntal

30.10.: Passau, Zeughaus

31.10.: Lindau, Club Vaudeville

1.11.: Konstanz, Kulturladen

2.11.: Ingolstadt, Neue Welt

3.11.: München, Muffathalle

4.11.: Zürich (CH), Rote Fabrik

5.11.: Fribourg (CH), Fri-Son

6.11.: Schorndorf, Manufaktur

7.11.: Marburg, KFZ

8.11.: Nürnberg, Komm

9.11.: Berlin, Huxleys

10.11.: Wolffenbüttel, Kravzuk

11.11.: Köln, Wartesaal

12.11.: Dresden, Scheune

13.11.: Hannover, Pavillon

16.11.: Hamburg, Markthalle

16.11.: (mit Fellow Travellers)

18.11.: Kiel, Räucherei

20.11.: Krefeld, Kulturfabrik

20.11.: (mit Terry Lee Hale, Sonya

20.11.: Hunter, X-Tal)

22.11.: Bonn, Jazz Galerie

23.11.: Regensburg, Alte Mälzerei

3.12.: Münster, Odeon