■ In Japans Meer siegt die Umwelt über den Nationalstolz
: Fische statt Inseln

Viel Hirnschmalz, ein kleines Schiff und laufende Filmkameras haben der Umwelt im Japanischen Meer zu einem großen Sieg über die Staatsraison verholfen. Mit politischem Geschick hat es Greenpeace verstanden, die unerträgliche Praxis der atomaren Verseuchung der Meere auf die politische Tagesordnung zu setzen und so Diplomaten und Politiker zu ökologisch verantwortlichem Handeln zu zwingen.

Klar ist, nicht nur die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) wußte von der geplanten russischen Atommüllverklappung im Japanischen Meer. Die Regierung in Tokio hat in der vergangenen Woche erklärtermaßen (auch in diesem Punkt) intensive Gespräche mit Präsident Jelzin geführt. Auch verfügt sie natürlich über technische Möglichkeiten zur Satellitenaufklärung, so daß der Kurs und die Absichten jenes strahlenden russischen Frachters kaum verborgen geblieben sein können. Warnungen gab es schon lange: Im Juli erst hatte ein russischer Vizeadmiral in aller Öffentlichkeit bekannt, daß die Lager für den flüssigen Atommüll der Kriegsmarine voll seien und daß bald wieder verklappt werden müsse. Die Vorzeichen waren also deutlich genug, so daß noch in der vergangenen Woche amerikanische Journalisten in Moskau Erkundigungen über die Pläne einzuholen versuchten.

Doch in Tokio wollte man einfach nichts wissen. Das Schweigen der japanischen Regierung hatte dabei handfeste diplomatische Gründe. Japan und Rußland ist 45 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg an der Normalisierung der unterkühlten Beziehungen gelegen. Deswegen war Jelzin nach Tokio gereist. Rußland will japanische Wirtschaftshilfe. Japan hat zwar auch Interesse an russischen Rohstoffen, vor allem aber an der Rückgabe der vier Kurileninseln, die die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg als symbolische Kriegsbeute behalten hatte.

Die Inseln sind ein Symbol des verlorenen Krieges. Für ihre Rückgabe war noch jeder japanischen Regierung kaum ein Preis zu hoch. Ohne die Rückgabe bleiben normale Beziehungen zu Rußland zumindest schwierig. Für diplomatische Fortschritte schien auch der neuen Regierung in Tokio der Preis der weiteren atomaren Verseuchung des Japanischen Meeres zumindest akzeptabel. Nationalstolz zählt mehr als die nationale Gesundheit — zumindest solange man die Gesundheitsgefährdung geheimhalten kann. Doch genau das Geheimhaltungsbedürfnis macht diese Strategie angreifbar. Durch ihre Aktion haben die Aktivisten von Greenpeace dem diplomatischen Spiel mit der Gesundheit der Bevölkerung für diesmal ein Ende gesetzt — ein Sieg der Vernunft über die Staatsraison, der Öffentlichkeit über die klandestine Diplomatie. Die Regierung in Tokio reagierte schnell: Sie entschloß sich zur Vorwärtsverteidigung und hat die Russen mit allen verfügbaren Mitteln zum Abbruch der gefährlichen Atommüllverklappung gedrängt. Nun will sie sogar noch weiter gehen und ein weltweites Verbot der Atommüllverklappung erreichen. Mehr davon. Hermann-Josef Tenhagen