Wer ist ein „anständiger Politiker“?

USA und UNO dringen auf die Erweiterung der haitianischen Regierung / Aristide zu Amnestiegesetz bereit / Kongreß schränkt Clintons außenpolitische Kompetenzen nicht ein  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Manche halten es für einen konstruktiven Kompromiß, manche für das Bosnien-Syndrom. Um wieder Bewegung in die Verhandlungen zwischen dem haitianischen Präsidenten Jean Bertrand Aristide und dem von ihm ernannten Premierminister Robert Malval einerseits, sowie den machthabenden Militär- und Polizeichefs andererseits zu bringen, versucht die Clinton-Administration seit einigen Tagen, Malval zu einer Erweiterung seines Kabinetts zu bewegen, die Vertreter der haitianischen Oberschicht einschließen soll. Jener Gruppe also, deren Interessen durch den Putsch des Militärs gegen Aristide im September vor zwei Jahren maßgeblich geschützt wurden.

Was am Mittwoch in Washington und Port-au-Prince von Vertretern der US-Regierung als Versuch der Konsensbildung und Isolierung der „bad guys“ dargestellt wurde, stieß sowohl bei Malval als auch bei Aristide auf Ablehnung. Letzterer wurde laut Bericht der Washington Post überhaupt erst von Malval von den US-Vorschlägen informiert. Clintons Pressesprecherin Dee Dee Myers sagte, die Beteiligung „nicht-demokratischer Kräfte“ an der haitianischen Regierung sei zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen worden. Ziel sei es, das im Juli geschlossene Haiti-Abkommen wieder „auf den rechten Weg“ zu bringen. Auch der UNO-Gesandte in Haiti betonte, es ginge um die Integrierung demokratisch gesinnter, „anständiger“ Politiker.

Was die Putschisten wollen, erklärt dieser Tage in Port-au-Prince Evans Francois, Bruder des haitianischen Polizeichefs Michel Francois, jedem Journalisten, der es hören will: Die Besetzung des Innen-, Verteidigungs-, Sozial- und Informationsministeriums mit Anhängern des Armeechefs Raoul Cedras und des Polizeichefs sowie ein umfassendes, vom Parlament verabschiedetes Amnestiegesetz für Militär und Polizei.

Aristide erklärte sich inzwischen bereit, dieses Gesetz zuzugestehen. Bedingung sei jedoch, daß die Abgeordneten zuvor ein Gesetz über die Trennung von Polizei und Militär annehmen.

Premierminister Malval drohte am Mittwoch seinen Rücktritt an für den Fall, daß Präsident Aristide nicht, wie mit den Militärs vereinbart, am 30.Oktober nach Haiti zurückkehrt und Cedras und Francois ihre Posten nicht räumen. Dieser Schritt setzt nun die Clinton- Administration unter Druck, möglichst schnell die Militärs zum Einlenken zu zwingen, will sie nicht am 30.Oktober vor den Scherben des Verhandlungsprozesses – und damit vor einem weiteren außenpolitischen Debakel – stehen.

Ein innenpolitisches Debakel konnte Clinton am Mittwoch im Kongreß verhindern. Mit den Fraktionsführern der Demokraten und der Republikaner, George Mitchell und Robert Dole, einigte sich das Weiße Haus darauf, einen Antrag zu entschärfen, nach dem der US-Präsident verpflichtet gewesen wäre, vor der Entsendung von US-Truppen nach Haiti oder nach Bosnien die Zustimmung des Parlaments einzuholen. In einer neu formulierten Version wird Clinton nurmehr unverbindlich aufgefordert, das Parlament zu konsultieren. Keine Chancen dürfte ein Antrag des notorischen Rechtsaußen im Senat, Jesse Helms, haben, der Clinton immer noch per Gesetz untersagen will, ohne Zustimmung des Kongresses Truppen nach Haiti zu entsenden. Der republikanische Senator aus North Carolina beschimpfte Haitis Präsidenten Aristide in einer Senatsdebatte als „Psychopathen“, der die Menschenrechte mit Füßen trete und dessen Rückkehr an die Macht es nicht wert sei, das Leben amerikanischer Soldaten zu riskieren.