Wut und Resignation im Wechseltakt

Im Bundesgesundheitsamt beginnen sich die skandalgebeutelten Mitarbeiter trotz des Bonner Maulkorbs zu wehren / Mitarbeiterversammlung und Abschiedsrede des Präsidenten  ■ Aus Berlin Manfred Kriener

Die Atmosphäre erinnerte ein wenig an eine Beerdigung. Als sich die Mitarbeiter des Bundesgesundheitsamtes am Mittwoch zur großen Versammlung trafen und der Abschiedsrede ihres gefeuerten Präsidenten zuhörten, war die Stimmung auf dem Nullpunkt. Mochte Dieter Großklaus noch so sehr beteuern, daß er hinter seinen Mitarbeitern stehe, daß die Vorwürfe gegen das Amt haltlos seien, daß die Auflösung des BGA in Bonn schon seit Monaten beschlossene Sache war: die Versammlung spürte, daß nicht mehr der Präsident, sondern schon der Rentner Großklaus zu ihnen sprach. Die Amtsgeschäfte hat er nach seiner Rückkehr aus der Kur, wo ihn Seehofers Paukenschlag überraschte, nicht mehr aufgenommen. Auf seinem Stuhl sitzt schon der Neue: Joachim Welz, Vizepräsident des BGA.

Großklaus versucht, seine Mitarbeiter aufzumöbeln. Aber eine kämpferische Stimmung will nicht aufkommen, die Ohnmacht liegt bleiern in der Luft. Frustriert schleichen die Mitarbeiter zurück an ihre Computer, wo die Zeitungen mit den neuen Schlagzeilen warten. „Frankenstein-Dimensionen“ hat der Pharma-Kritiker Moebius im BGA ausgemacht. Ein „Bermuda-Dreieck“ der Gesundheit sei die Berliner Behörde, donnert der SPD-Abgeordnete Schmidbauer in Bonn. Die „verrottetste aller Bundesbehörden“ werde zum großen Sanierungsfall, funkt der Spiegel aus seinem Hamburger Bunker. „Wir haben keine Lobby, wir können uns nicht wehren“, resigniert eine Mitarbeiterin, „und jetzt haben wir auch noch einen Maulkorb.“

Per Runderlaß wurden alle BGAler diese Woche an ihre Schweigepflicht erinnert. Keine Pressekontakte, keine Telefonate mit dem Ministerium, kein Aufbegehren. „Es ist unglaublich, was hier abgeht, der reine Obrigkeitsstaat“, schüttelt ein Institutsleiter den Kopf. Die häufigste Redewendung lautet derzeit: „Das kann mich meinen Job kosten.“ Doch während in den ersten Tagen der Affaire noch eisiges Schweigen herrschte, ist die Wut inzwischen so groß, daß viele ungeschützt reden.

Verbrecherisch sei das, „was der Seehofer mit uns macht“. Das BGA werde zerschlagen, und die Öffentlichkeit klatsche Beifall. Was sei denn tatsächlich dran an der angeblich verschwiegenen Geheimliste mit 373 Blut-Aids-Fällen? Was sei dran an dem neuen Skandal um die PPSB-Gerinnungspräparate? „Warum kapiert das denn keiner?“ Aber wem wollen sie die komplizierten Zusammenhänge erklären – mit umgehängtem Maulkorb? Selbst die Pressestelle darf zu den „Vorgängen“ nichts mehr sagen. Bonn gibt Auskunft. Berlin schweigt und wird gelegentlich zum Rapport ins Ministerium zitiert. Dort fiel BGA-Vize Welz in den letzten Tagen vor allem durch seine Bücklinge auf. „Der ist uns in den Rücken gefallen“, empört sich ein Mitarbeiter im Arzneimittel-Institut. Welz habe vor Seehofer gekuscht, ohne sich zu wehren und die Vorwürfe aufzuklären.

„Das Ende des kritischen Journalismus“ sieht ein Mitarbeiter des BGA-Aids-Zentrums heraufziehen: „Kontraste“, „Monitor“, Spiegel, überall die Seehofersche Lesart – unkritsch, unsachlich, falsch. Natürlich sei Aids ein kompliziertes Thema, „aber die haben doch Abitur, die können doch recherchieren, die sollen doch mal schreiben, was wirklich los ist.“

Geschlossen und trotzig haben sich die Mitarbeiter im Arzneimittel-Institut hinter ihren suspendierten Chef Gotfried Kreutz gestellt. Es soll mehr sein als eine Geste. Sie alle sind sich sicher, daß die Vorwürfe Seehofers absurd sind. Was hätte Kreutz denn machen sollen, als er im Juli 1990 von einer verseuchten Charge aus dem Jahr 1984 erfuhr, fragen sich die Institutskollegen. Die Präparate waren doch längst verbraucht.

Auf Nachfragen kommt dann doch noch Selbstkritik: Vielleicht hätte man tatsächlich sämtliche Landesbehörden alarmieren sollen, vielleicht. „Aber die Krankenhäuser wußten doch Bescheid, die hatten doch längst keine 84er Präparate mehr.“ Dann stoßen die Altlasten wieder auf. Holzschutzmittel, Asbest: Natürlich seien schwere Fehler gemacht worden. Aber das BGA werde nicht deswegen aufgelöst, sondern wegen des Blut-Skandals, und das sei verlogen. Nicht weniger als 111 Blutberichte seien nach Bonn gegangen, Seehofer sei über das Ausmaß der mehr als 2.000 Infektionen zuverlässig unterrichtet worden.

Am Aids-Zentrum haben die Mitarbeiter einen offenen Brief an Seehofer formuliert, auch an anderen Instituten wird an Resolutionen gefeilt. Doch am Ende wandern sie in die Schublade, ohne abgeschickt zu werden. Wut und Resignation im Wechseltakt.

Ein wenig Hoffnung macht die angekündigte Expertenkommission, die den Skandal durchleuchten soll. Von ihr erwarten viele BGA-Beamte Aufklärung und Rehabilitation. Doch wenn die Ergebnisse vorliegen, so befürchten viele, ist die Auflösung längst besiegelt und der Skandal vergessen. „Dann hat Seehofer die direkte Fachaufsicht, und dann wird erst richtig industriefreundliche Politik gemacht.“