„Mit einer Irrsinnslust“

■ Wer zieht im Theater hinter dem Vorhang die Fäden? Die taz stellt Dramaturgen an Hamburger Bühnen vor / Heute: Brigitte Landes vom Thalia

„Und zu mir kommen Sie, weil ich eine Frau bin, ja?“ Seit sechs Jahren ist sie Dramaturgin am Thalia Theater, drei davon Chefdramaturgin - aber mit übermäßigem Selbstbewußtsein scheint Brigitte Landes nicht beschenkt. „Bitte keine Hexenphotos“, sagt ihr selten lächelnder Mund etwas unsicher zum Fotografen und fügt erklärend hinzu: „Ich habe das nämlich nie gemacht, Interviews.“ Und warum dieses? Als Abschiedsgeschenk für Hamburg? „Ja...nein. Vielleicht als Abschiedsgeschenk für mich.“

Wenn Brigitte Landes Ende der Spielzeit das Thalia Theater verläßt, verliert Hamburg nicht nur eine bescheidene, sondern vor allem kompetente und vielseitig engagierte Dramaturgin. Und eine, die es eigentlich nie werden wollte: „Ich habe immer in der Regie hos- pitiert. Regie habe ich sehr vergöttert und wirklich für etwas Grandioses gehalten und gedacht, da muß man wahnsinnig toll sein. Selbst habe ich mich da einfach nicht getraut. Und weil ich mich nicht entscheiden konnte, bin ich Dramaturgin geworden. Das ist auch so ein eigentümlich unentschiedener Beruf.“

46 Jahre alt mußte Landes werden, um heute das zu tun, weshalb sie eigentlich ans Theater gegangen ist: zu inszenieren. Ein junger Regisseur hatte sich in der vergangenen Spielzeit mit Werner Schwabs Stück Übergewicht Unwichtig Unform übernommen, und sie sprang ein. „Mit einer Irrsinnslust. Der Mißmut, der mich in letzter Zeit beschlichen hatte - ich habe immer gesagt, ich bin nicht zum Telefonieren ans Theater gegangen - war schlagartig weg.“ Schlagend war auch der Erfolg der Aufführungen auf Kampnagel. „Zufall, nach der kurzen Probenzeit“, nennt sie es, aber nicht wenige sehen es anders: Eine Gruppe Frankfurter Schauspieler bat sie daraufhin, mit ihnen Taboris Mein Kampf am Mousonturm zu probieren, das am 10. Oktober Premiere hatte, und für das Kasseler Stadttheater bereitet sie gerade ein Stück von Chantal Ackermann vor.

So „piratenmäßig von der Seite“ einzusteigen, macht ihr Spaß, aber natürlich sind mit der freien Arbeit auch Existenzängste verbunden. Sechs Jahre zuvor, als sie an einem ähnlichen Punkt stand, hatte sie sich für die Sicherheit einer Festanstellung entschieden, wegen ihrer damals erst 13jährigen Tochter, „die ist heute erwachsen, macht eine Schreinerlehre und will in Richtung Kunst abschwirren. Ich bin stolz auf sie“, lächelt die Mutter, die es leid ist, sich am Theater von immer jüngeren Regisseuren was sagen zu lassen. Das findet sie kniffelig. Und zwar persönlich.

Bei ihrer eigenen Theaterarbeit steht der Text im Vordergrund: „Ich komme von der Literatur her. Schon beim Lesen habe ich sehr konkrete Vorstellungen - nicht davon, wie etwas auf der Bühne aussieht, sondern vom Geist einer Sache. Den will ich verwirklichen. Nachher sieht sowieso alles anders aus, weil die Menschen, mit denen man arbeitet, erstaunlich andere Vorstellungen haben, die auch stimmen.“ Sie wolle nicht mit den Mitteln des Theaters die Phantasie blockieren, sondern gerade durch das Unterbrechen des Spiels offene Situationen schaffen. „Auch wenn's allgemein klingt: Ich suche die Verbindung zum Leben.“ Ihr dramaturgisches Engagement steckt sie folglich in das den Spielbetrieb begleitende Programm, aktuelle Veranstaltungen und die Freitag Nächte, wo Autoren und Themen des Spielplans noch einmal ganz anders vorgestellt werden. Aufs Dachfenster am Alstertor prasselt Regen. Ob die Frankfurterin Hamburg im nächsten Jahr verlassen wird, weiß sie noch nicht. „Ich habe zehn Jahre gebraucht, aber jetzt mag ich diese Stadt ganz gerne.“ Der Erfolg führt sie hoffentlich durch die Republik und eines Tages an die Theater dieser Stadt zurück - und falls er ausbleibt, sollte sie sich mit ihren eigenen Worten trösten: „Wirkliche Schrecken sind am Ende immer komisch. Das ist so.“ Christiane Kühl