Grünes Damokles-Schwert über roten Köpfen

■ Vom Umweltsenator bis zu Voscheraus Adlatus: Warum manch SPD-Politiker so gar kein Interesse an erfolgreichen Koalitionsverhandlungen hat   Von Uli Exner

Nun stützen sie ihren Bürgermeister. Bloß nicht wanken, Henning. Sei standhaft gegenüber diesen grünen Nichtsnutzen!! Vergessen ist aller senatsinterner Hader. Voscherau vor! So feuert ein großer Teil der ersten SPD-Polit-Reihe seinen Primus an, auf daß er nur nicht das Weite suche oder gar in den Koalitionsverhandlungen den Weg freimache für das rotgrüne Horrorszenario. In Reden, Interviews und Offenen Briefen geben die Vahrenholts, Zumkleys und Krupps ihr Bestes, um Voscheraus Kopf zu retten – und ihren eigenen.

Aber das sagen sie natürlich nicht, schließlich dreht sich bei den Koalitionsverhandlungen alles „nur um die Inhalte“, wie die Sozialdemokraten mit fester Stimme versichern.Doch es geht auch um anderes: die berufliche Zukunft, die Höhe des Gehalts, die Pensionsansprüche, um Ruhm, Ehre und um persönliche Vorlieben.

Da ist zum Beispiel Umweltsenator Fritz Vahrenholt. Ein anerkannter Fachmann auf seinem Gebiet, kein großschnauziger Polemiker und auch nicht unbedingt reif für die Auswechselbank. Aber dennoch hätte Vahrenholt mit einer rotgrünen Koalition ein Problem. Sein Ressort ist ur-grün, und nicht wenig spricht dafür, daß in einer SPD-GAL-Regierung der Umweltsenator nicht Fritz Vahrenholt, sondern beispielsweise Jan Henrik Horn heißen würde. Horn läuft sich derzeit als Staatssekretär im niedersächsischen Umweltministerium warm und wird als potentieller Vahrenholt-Nachfolger gehandelt.

Was dazu führt, daß der früher grünen Positionen durchaus zugeneigte Amtsinhaber in diesen Tagen mächtig auskeilt. Vorzugsweise per Bild-Zeitung verkündet er regelmäßig, daß die GAL nur wenig mehr zu bieten habe als umweltpolitischen Nonsens. Dabei ist es nicht die Angst vorm Sturz ins finanzielle Nichts, die Vahrenholt treibt, sondern zum einen sein politischer Ehrgeiz. Ohne eigene Hausmacht, so Umweltsenators rotgrüne Schadensanalyse, bliebe für ihn bei koalitionsbedingtem Postennotstand kein Senatsamt übrig.

Und zweitens hat den studierten Chemiker der sogenannte Streibl-Effekt erfaßt. Wie einst der bayrische Amigo und Ministerpräsident möchte auch Vahrenholt mindestens so lange im Amt bleiben, bis er wenigstens einmal an seinem neuen Prachtbau-Schreibtisch gesessen hat. In Rothenburgsort entsteht derzeit, nicht ganz so aufwendig wie ehedem die bayrische Staatskanzlei, die neue Umweltbehörde. Das Inventar soll 1995 eingeräumt werden. Und Vahrenholt möchte gern dazugehören. Schon deshalb gilt bis auf weiteres Senators Schlachtruf: Weiter so Henning! Durchhalten!

Einer, der lauthals einstimmt, ist Bezirks- und Bonn-Senator Peter Zumkley. Der Wandsbeker SPD-Kreischef hat es in seiner Amtszeit noch nicht einmal geschafft, die eigenen Genossen von der eigenen Unverzichtbarkeit zu überzeugen. Zumkley fürchtet dementsprechend das „Damokles-Schwert Voscherau-Rücktritt“ schon dicht „über uns allen“, meint allerdings eher das „Damokles-Schwert-Rotgrün“ dicht über seinem Haupthaar.

Denn in der GAL werden bereits zwei AnwärterInnen für das Amt des Bezirks-, Europa-, Bonn-Senators gehandelt. Frei nach dem Niedersachsen-Modell – dort hält Bonn-Senator Jürgen Trittin die Koalitionsfäden in der Hand – könnten entweder Krista Sager höchstselbst oder aber GAL-Shooting-Star Thomas Littmann in Zumkleys nicht allzu große Fußstapfen treten. Durchaus verständlich, daß dem angesichts dieser Konkurrenz die Flatter geht.

Nicht erwartet hätten wir dagegen, daß auch die Nerven des sonst innerlich gefestigt wirkenden Wirtschaftssenators Hans-Jürgen Krupp blank liegen angesichts drohenden Amtsverlusts. Bereitwillig gibt der renommierte Ökonomie-Professor in diesen Tagen Interviews, in denen er sich nicht nur breitbrüstig vor Voscherau aufbaut, sondern auch noch gegen besseres Wissen dessen rückwärtsgerichtetes Wirtschaftskonzept vorbehaltlos billigt.

Aber auch bei Krupp gilt: Amt geht vor Prinzip. Denn auch er hat SPD-intern nur wenig UnterstützerInnen. Und da es Krupp immer noch zweifelhaft erscheint, ob ihn der Bundesrat am 5. November (mit Voscheraus Stimme!!) tatsächlich auf den Chefsessel der Norddeutschen Landeszentralbank hievt, mutet ihm sein persönliches Rotgrün-Horoskop trotz zahlreicher gesicherter Pensionsansprüche eher unheimlich an.

Schlimmer noch, ein Spitzengenosse mit großer Hausmacht ist auf das Krupp-Ressort scharf und könnte in einer Regierung mit drei oder vier GAL-SenatorInnen auch kaum mit einem anderen Posten abgefunden werden: Noch-Fraktionschef Günter Elste drängt es endlich in den Senat. Schon um nicht ohne jede Regierungserfahrung dazustehen, wenn es in nicht allzu ferner Zeit darum geht, Voscherau zu beerben.

Womit wir auch schon bei den Gründen der schweren Rotgrün-Phobie wären, die Elste derzeit plagt. Der Diplom-Kaufmann hält sich zwar auch in einer Koalition mit der GAL für Krupps legitimen Nachfolger. Doch damit hätte es sich dann auch mit den Aufstiegschancen. Rotgrün in Hamburg, das hieße für den ehrgeizigen Wandsbeker mit einschlägiger Kungel-Erfahrung das Ende seiner Bürgermeister-Ambitionen.

Ganz im Gegensatz zur rotgrauen oder, noch viel schöner, rotschwarzen Szenerie. In ihr sieht sich Elste als designierter Voscherau-Nachfolger. Und daß ein solcher in nicht allzu ferner Zukunft gesucht würde, dafür würde Elste schon sorgen. Seine Devise: Voscherau vor, bis Rotgrün gescheitert ist, danach komm' ich.

In in der Kulturbehörde wähnt sich derweil selbst die zweite SPD-Garnitur ihrer Pfründe nur sicher, wenn Rotgrün verhindert werden kann. „Warum sollen wir uns mit den grünen Profis abmühen,“ gab Kultur-Staatsrat Knut Nevermann dem Nachrichtenmagazin focus zu Protokoll, „wenn wir es mit den Amateuren um Wegner viel leichter haben.“

Wenn er sich da mal nicht täuscht. Denn auch ohne rotgrüne Koalition wird sich so mancher Hamburger Spitzenpolitiker demnächst um einen neuen Job kümmern müssen. Selbst für den Fall einer SPD-Minderheitsregierung, da sind sich eingeweihte SPDler sicher, wird der Senat erstens umgebildet und zweitens verkleinert.

Erste Anwärter auf der parteiinternen Abschußliste: Wissenschaftssenator Leo Hajen und Kulturkollegin Christina Weiss, deren Ressorts unter neuer Leitung zusammengelegt werden sollen. Dichtauf folgt der glücklos agierende Senatskanzleichef Thomas Mirow, dessen Sessel nach einer Regierungsneubildung aus der Senatsstube entfernt werden soll.