„Wie schlecht darf ein Jude im Theater sein?“

■ Betr. „Barabas aber war ein Jude“, taz vom 29.9.

„Wie schlecht darf ein Jude im Theater sein?“ — Etwa so schlecht wie sie, die Juden, außerhalb des Theaters sind, sollen wir diese Suggestivfrage nach dem Willen der Bremer taz verlängern und damit beantworten? Oder was sonst soll eine solche Schlagzeile auf der ersten Seite? Vermutlich denkt man auch daran, die Frankfurter Theateraffäre von 1986 wieder aufleben zu lassen — es ging um die Aufführung eines Faßbinder-Stücks um einen reichen, geilen und blutrünstig-frauenmordenden Juden, den dem Thema innewohnenden Zündstoff nach Bremen zu transferieren in der Absicht, wenigstens dadurch für Schlagzeilen zu sorgen.

Ist die Darbietung einer verzerrenden Karikatur, die den Namen „reicher Jude“ erhält, in Deutschland nach Hitler und Auschwitz zulässig? Die Schlüsselfrage dazu kann nur lauten: Taugt Theatervorführung einer Klischeefigur zur Aufklärung des Klischees oder reproduziert sie es nur? Wenn letzteres zutrifft, muß der Schluß gezogen werden, daß die Theaterleute im Sinn haben, dasselbe wieder hoffähig zu machen, was als 'message' besagen würde, die vorhandenen Probleme nicht anzugehen und wenn möglich aufzulösen, sondern Unwillen und Enttäuschung des potentiellen Publikums zu kanalisieren und auf den Sündenbock Jude zu lenken.

Statt also beispielsweise die Probleme und Folgeprobleme des Zusammenschlusses zweier deutscher Staaten zu einem Thema zu machen, halten die kritischen Theaterleute es für dringlicher, zu zeigen, daß die „Vertreter aller Religionen sich in gar nichts unterscheiden“, wenn es um Geld und Macht geht, wobei gleichwohl nicht aufs antijüdische Ressentiment verzichtet wird.

Bei Herrn Kaenpfe kommt dabei heraus: wir alternativen Kulturschaffenden dürfen ganz unschuldig und ungetadelt mit Stereotypen aus dem antisemitischen Gruselkabinett herumspielen und sind dafür nicht verantwortlich, weil sie ja imaginär sind: das Publikum projiziert sie „ins Stück“. Die 'selbstkritische' Erkenntnis dieses Vorgangs führt geradewegs zur selbstgerecht-angeheiterten Exkulpation, zur moralischen Entsorgung.

Es fehlt also die zwingende Begründung für die so stark betonte Notwendigkeit der Aufführung, da sie nichts zur Aufklärung von Antisemitismus beitragen dürfte. Interssant wäre auch zu erahren, worin die „großen Skrupel“ der Herren A. und K. bestanden und durch welche Erleuchtung sie überwunden werden konnten.

Überhaupt, dieser Alexander: bei Marlowe verhielten sich die Vertreter aller beteiligten Religionen „ähnlich wüst“ und wüteten, „bis am Ende alle tot sind, bis ganz Malta zerstört ist. Das stelle ich mir vor wie das zerbombte Berlin. Echt zappenduster.“ Seine Assoziation der Zerstörung der deutschen Reichshauptstadt in diesem Kontext verweist darauf, wie er sich bzw. sein Publikum sehen möchte: als Opfer — des reichen Juden.

Es geht, wie aus Schlagzeile und Interview ersichtlich, um das Verletzen von Tabus. Kaempfe fragt sich, „ob das in den Griff zu kriegen ist. Wie spielt man heute in Deutschland einen bösen Juden? Kann man das, darf man das, schafft man das?“ In einer Phase, in der im Zuge der deutschen Staatsvereinigung in sehr kurzer Zeit einige Tabus auf ausgesprochen forsche Art und Weise errichtet worden sind, erscheint den Theaterleuten im Schlachthof ein (vermeintliches) Tabu der Übertretung würdig: das, einen Juden öffentlich als reich und böse darzustellen. Dabei werde lediglich, so Alexander, das Individuum betrachtet, „kollektiv über Religionen sagt das Stück nicht viel aus.“

Das Blatt hat sich wieder einmal gewendet: Die Schonzeit soll, wie es 1986 bereits ein Frankfurter Kulturdezernent formulierte, für die Juden in diesem Lande endlich vorbei sein. Kehren wir doch, mit Kohls auserwähltem Präsidentendarsteller in spe zu reden, zur Normalität zurück und schreiten wir zur Neueinordnung der deutschen Rolle in der Geschichte voran. In einer solchen Situation greift man gerne auf Altbewährtes zurück, und wenn wir schon alle unter unserer tendenziellen materiellen Verarmung so sehr leiden, dann ist eine „Berühmte Tragödie des reichen Juden von Malta“ genau der richtige Fetzer. Damit die geistige Verarmung nicht zu kurz kommt. Manfred Knaust