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„Rot ist meine verletzte Seite“

■ Malen gegen den Krebs / Eine Kunsttherapeutin stellt auf dem Bremer Krebskongreß ihre Arbeit vor

Das Bild einer Krebspatientin kurz vor der Operation

Es geht um so schreckliche Dinge wie Prostata-Carzinome, Tumorschmerzen, Mamma- und Ergußzytologie. Der dritte Bremer Krebskongreß, der am Samstag zuende geht, beschäftigt sich mit den Themen Häufigkeit und Verteilung von Krebskrankheiten, Krebs und Alter, Krebs und Umwelt sowie dem heiklen Punkt „Aufwand-Nutzen-Analyse in der Versorgung krebskranker Patienten“. Parallel werben im

hier bitte das gemalte

Bild mit dem OP-Tisch

„Marriott-Hotel“ Pharma- und medizintechnische Industrie für ihre neuesten Produkte. Doch in einem kleinen Tagungszimmer am Rand des Geschehens hängen große, bunte Bilder. Gemalt wurden sie von Krebspatientinnen. Hier will Elisabeth Holtappels der versammelten medizinischen Fachwelt zeigen, wie man mit den Mitteln der Malerei Krebskranken helfen kann. Frau Holtappels ist studierte Kunsttherapeutin

mit eigener Praxis im Bremer Stadtteil Schwachhausen und überzeugt davon: „Farben haben Heilungskräfte.“

Diagnose Mamma-CA, Brustkrebs also, ein tiefer Schock für Frauen, mit denen Elisabeth Holtappels zu tun hat. Sehr oft haben sie überhaupt keine Möglichkeit, für das, was in ihnen passiert, einen Ausdruck zu finden. Ärzte sind selten geeignet, die Situation zu erleichtern, wenn sie ihre Patientin mit Worten aufheitern wie: „Wir machen Ihnen die Brust um 10 Jahre jünger!“ In der Holtappels-Praxis fangen diese Frauen an zu malen. „Krebspatienten greifen nach Gelb,“ hat die Kunsttherapeutin festgestellt, „der Farbe der Sonne.“ Rot markiert oft den Tumor, „meinen Tumor“, wie ihre Klientinnen irgendwann sagen können. Sie können von „meiner verletzten Seite“ sprechen, oder so: „Ich bin eine amputierte Frau, ich mag mich so nicht.“ Sätze, die raus müssen.

Es ist keine Kunstausstellung, die Elisabeth Holtappels präsentiert, sondern es sind Zeugnisse schmerzhafter, aber oft erfolgreicher Prozesse, in deren Verlauf zum Beispiel erstmals nach vielen Jahren Tränen fließen können, wo hingebungsvolle Mütter diese ihre geschätzte Qualität plötzlich als Problem erkennen, wo zusammengesunkene Menschen etwa beim „rhyrhmischen Zeichnen“ zum ersten Mal wieder eine richtig große Geste wagen. Dabei wirkt der Krebs als Auslöser einer Krise, die existenzielle Fragen aufwirft. Hier liegt auch nach Meinung der Kunsttherapeutin der Grund dafür, daß sie bei derzeit 16 Klientinnen keinen Mann in Therapie hat: „Frauen sind eher bereit, ihr Leben nach dem Diagnoseschock zu ändern.“

Kunsttherapeutische Praxen sind in Deutschland noch rar, in Bremen weiß Frau Holappels nur von einer Kollegin. Studiert hat sie Bildhauerei in Bonn und wurde dann in Ottersberg ausgebildet. Zwei Jahre lang arbeitete sie am St.Jürgen-Krankenhaus, wo sie auf der Frauenstation mit Krebskranken in Berührung kam. Doch der relativ kurze Kontakt im Krankenhaus reichte ihr nicht. Sie machte sich selbständig. Weil Kunsttherapeuten keine Kassenzulassung haben, sah die finanzielle Situation zunächst finster aus - doch inzwischen hat sich immerhin als erste die Techniker Krankenkasse bereiterklärt, die Kosten für eine Therapie zu übernehmen. Die günstigen Auswirkungen auf den Allgemeinzustand der Patientinnen sprechen sich bei Kassen wie Medizinern herum.

Elisabeth Holtappels therapiert nicht nur Krebskranke, die sie manchmal bis zum Tod begleitet; auch Mißbrauchs-Opfer und von endlosen Psychoanalysen Frustrierte gehören zu ihren Klientinnen. Laut Prospekt traut sie sich darüberhinaus zu, günstigen Einfluß auf Menschen mit Neurodermitis, Regelbeschwerden und Fehl- und Totgeburten nehmen zu können. Denn die Erfahrung „Der Kreis ist gesprengt - mein Panzer“, die eine Frau mit Mamma-CA-Diagnose quer über ihr außerordentlich eruptives Bild geschrieben hat, ist eine Möglichkeit, die auch in anderen Krankheiten angelegt ist.

B. Straßmann

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