Sanssouci
: Nachschlag

■ KL und der Lucky Strike Designer Award '93

Karl Lagerfeld und Fächer Foto: Norbert Michalke/Octopus

Warum verleiht die „Raymond Loewy Stiftung zur Förderung von zeitgemäßem Industriedesign“ ihren diesjährigen, mit 60.000 Mark dotierten Designerpreis an den Modemacher Karl Lagerfeld? Diese Frage wurde offenbar nach Bekanntgabe der Entscheidung kritisch ins Feld geführt. Sie kennzeichnet nach Kuratoriumsvorstand Michael Erlhoff das Lager der Traditionalisten des Industrie-Designs, denen er „Dussligkeit“ bescheinigte. Sodann führte er eine lange Liste guter Gründe an, die für die Vergabe sprachen. Den wichtigsten nannte er allerdings nicht. Den offenbarte KL, wie immer ausgesprochen aussagebereit, höchstselbst: „Ich liebe die Idee, mehr als ein Mensch zu sein.“ Karl Lagerfeld bekennt sich dazu, die Idee des Autors, des unverwechselbaren Schöpfergenies zu unterminieren.

Ein vielbeschäftigter Illustrator, Fotograf, Produkt- und Modedesigner trat also aufs Podium, um die bumerangähnliche Trophäe (wer hat dieses unglückliche Ding eigentlich entworfen?) in Empfang zu nehmen.

Die Kreativen-Klischees bemühte eher Kultursenator Roloff- Momin in seiner Einführungsrede zur nun regelmäßig in Berlin stattfindenden Preisverleihung. Sein Werben um die Stadt war peinlich, weil völlig uninspiriert. Und auch hier war Karl der Kluge. Gedrängt, Flagge zu zeigen, machte seine Aussage, Deutscher, aber überall in Europa zu Hause zu sein, vor allem klar: Berlin ist keine Frage eines Bekenntnisses. Als Beobachterin möchte man meinen: Berlin als Vergabestätte des Preises sollte aufpassen, nicht in die gleiche Falle all derjenigen zu geraten, die „Industriedesign“ gegen „zeitgemäß“ ausspielen wollen. Da gerät man leicht auf die dusslige Verliererseite.

Als zeitgemäß wurde von der Jury an Karl Lagerfeld gerühmt, daß er in seiner Arbeit die Komplexität von Design verständlich macht, in Regelverletzungen und Grenzüberschreitungen, die Schubladen wie Grafik-, Industrie-, Mode-, Management- und Alltagsdesign obsolet werden lassen. Als zeitgemäß wurde weiter die „empirische Komponente“ seines Modedesigns verdeutlicht. Michael Erlhoff sprach vom „Designer als Emphatiker.“ Die Mode kommt für Lagerfeld von der Straße; dort findet sie statt.

Daher läßt sich zum Thema Lagerfeld und Chanel überspitzt formulieren: Seine legendäre Vorgängerin machte Mode und wurde kopiert – Lagerfeld kopiert und macht damit Chanel. Auch das wollte der Preis würdigen: Wenn Lagerfeld Chanel macht, dann so erfolgreich, daß er das Traditionshaus (auf die Verbindung zum Schiller Theater wurde er angesprochen) vor der Schließung rettete. Denn so wenig Karl Lagerfeld im alteuropäisch-autoritären Sinne Autor ist, so unverwechselbar ist er doch, in seinen vielen Masken, in den Images, die er für Cloé, Fendi, KL by Steilmann und für sein Haute Couture-Haus Karl Lagerfeld prägt.

Lagerfelds überentwickeltes Corporate-Identity-Bewußtsein erinnerte Michael Erlhoff, den kecken Professor für Design-Theorie an der Fachhochschule Köln, an keinen geringeren als Joseph Beuys.

Andere Besucher erinnerten sich da sofort an die Moral, die der Mode immer fehlt. An wen zum Beispiel spendet KL das viele Geld? Die Frage blieb offen. Der Raymond Loewy Stiftung – 1991 ins Leben gerufen zu Ehren des amerikanischen Design- Pioniers französischer Herkunft (1893–1986), der die Original Lucky Strike Zigarettenpackung entworfen hat – hingegen fehlt es nicht an Moral. Sie würdigt nicht nur das Gesamtwerk deutscher Industrie- und Grafik-Designer, wie das der vorangegangenen Preisträger Hartmut Esslinger („frogdesign“) und Richard Sapper („Tizio“-Lampe), sondern will insbesondere den Nachwuchs fördern.

Dazu dient das Lucky Strike Design-Projekt: Durch die Vergabe von Entwurfsprojekten sollen junge, unabhängige DesignerInnen, frei von Wettbewerbs- und Akquisitionsdruck Gestaltungsaufgaben von allgemeinem Interesse durchführen können. Die „Gestaltung eines multifunktionalen städtischen Platzes“ wird als erstes Projekt mit 40.000 Mark gefördert. Die Stiftung lobt darüber hinaus auch einen „Junior Award“ aus, der mit 20.000 Mark dotiert ist und in diesem Jahr an die Designerin Elke Stimpfig vergeben wurde. Sie hat in ihrer Examensarbeit einen ebenso schönen wie funktional-intelligenten Bürorollstuhl entwickelt.

Mengen von Preisverleihungsbesuchern wären übrigens froh gewesen, überhaupt nur irgend etwas Stuhlartiges zu ergattern, um wie der privilegierte Rest die abschließende Talkshow mit Petra Schürmann auch noch, naja, durchzustehen. Brigitte Werneburg