Wand und Boden: Woraus die Kunst geboren wird
■ Kunst in Berlin jetzt: Bernd und Hilla Becher und Schüler, Michel François, Gerald Uhlig
„Distanz und Nähe“ heißt die Ausstellung zu Bernd und Hilla Becher nebst Schülern, die das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen in der Neuen Nationalgalerie zeigt. Und in der Tat benennen Motive wie „Wirsing (Steinhagen/Westfalen) 1990“ oder „Kürbis (Bielefeld-Brackwede) 1990“ nicht nur Kraut und Rüben, sondern auch ein Meister- Schüler-Verhältnis. Simone Niewegs Serie eines Gemüsegartens läßt einen irritiert zurück: Meint sie es ernst, oder ist die Ersetzung von Förder- und Wassertürmen, Gasbehältern und Hochöfen durch Porree und Kohl, eine – dann sarkastische – Kritik an ihren Lehrern? Zuviel Nähe kann jedenfalls auch als verletzende Distanz gelesen werden.
Um die rechte Balance, als Becher-Schüler erkannt und dennoch über eigenständige dokumentarisch-konzeptionelle Projekte anerkannt zu werden, kämpfen auch die anderen ehemaligen Becher-Studenten. Mit deutlich unterschiedlichem Erfolg. Axel Hüttes Architekturfotografie gewinnt ihren beispielhaften Charakter weniger aus der seriellen Reihenfolge als aus dem folgerichtigen Nachsetzen des Blicks. Das Triptychon „Gesundbrunnen“ macht die Orientierungsarbeit in einer Berliner U- Bahn treffend in nur drei minimalen Bildern fest: Frontal der Schacht vom Straßeneinstieg aus gesehen, leicht seitlich gedreht sein weiterer Verlauf und frontal, in Großaufnahme, das eingemauerte Stationsschild der U-Bahn. In Andreas Gurskys monumentalen Fotoarbeiten werden die kleinen menschlichen Figuren über den Effekt einer leichten Überbelichtung gewissermaßen aus dem überdimensionierten umgebenden Raum herausgehebelt. Sehr viel weniger interessant ist Jörg Sasses Serie des spießigen Wohnwelt-Alltags. Auch Candida Höfers Innenräume gewinnen nicht in der Variation des immer Ähnlichen. Die Marmorsteinbrüche von Petra Wunderlich zeigen den Berg an den wunderlichsten Stellen ausgehöhlt. Die Bergskulptur wird zu einer Folge differenzierter Ansichten. Die spärlichen „Sterne, 03 h 44 m/ -45°“ (1990) wie die um ein Vielfaches vermehrten „Sterne, 07 h 28 m/ -45°“ (1990) scheinen anzudeuten, daß Thomas Ruff an einem ähnlichen Borderline-Syndrom leidet wie Simone Nieweg. Was eigentlich, so fragt man sich zwangsläufig beim Gang durch die Ausstellung, machen diejenigen Becher-Schüler, die sich völlig distanziert haben von der strengen Methodik, die die Bechers im Eingangsbereich der Schau nach wie vor großartig und strikt vortragen: „Gasbehälter, Berlin-Schöneberg (1992)“?
Bis 31. Oktober, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, Di-Fr 9-17 Uhr, Sa, So 10-17 Uhr
An der Eingangstür der Galerie Gebauer und Günther, die in neue, größere Ausstellungsräume in die Oranienstraße umgezogen ist, hängt ein Zettel, auf dem die AusstellungsbesucherInnen gebeten werden, die Tonspuren auf dem Fußboden nicht durch unnötiges Umhergehen zu zerstören. Wenn man allerdings den Raum betritt, erkennt man einigermaßen verblüfft: sollte man es wagen weiterzugehen, werden Zerstörungen unvermeidlich sein. Ein im Raum hinterlassenes Seil, an dem weiße, grüne, rötliche und gelbliche Tonkugeln unregelmäßig aufgereiht sind, wurde durch die Raumflucht gezogen und hinterließ die fragile Spurzeichnung allüberall. Michel François' Installation stürzt den Besucher in Konflikte. Keine Einschreibung im unvergänglichen, in Stein gehauenen Gestus, statt dessen die Überschreibung des Beton mit flüchtigen Spuren: da kann er nicht als selbstherrlich-distanzierter Betrachter auftreten. Irritiert begegnet er sich als neugieriger Zerstörer. Vor ihm schon hat jemand Teile der im Raum aufgestapelten Teller zu Bruchstücken zerschmettert. An der Wand prangt derweil der von der Dokumenta IX. bekannte, überdimensionierte Seifenspender: Sollte man seine Hände doch in Unschuld waschen dürfen?
In einem zweiten Raum ist aus plastikverpackten braunen Tonquadern ein Bett aufgebaut. Ein brauner, merkwürdig angenagter Würfel steht wie ein Nachtkästchen daneben. Links vom Bett dann schließlich das obligate Fernsehgerät. Hosentaschen, in die Gips gegoßen wurde, reihen sich entlang einer Wand, die mit der Fototapete eines kleinteilig aufgebrachten Männergesichts geschmückt ist.
Video, das Medium, ist nicht die Botschaft, es ist Aufklärung: alle Kunst ist nur ein Kinderspiel. Aber was für eines. Ellbogen reiben einen Pullover durch, Schokolade fließt, erstarrt zum Nachtkästchen-Block, Kinder nagen ihn an, Spucke fließt, plötzlich riecht man den Duft der Schokolade im Raum. Die Grenzen der Hardware weichen auf. Michel François legt Spuren aus, findet sie auf, zeichnet sie auf, mit Hochachtung für ihre Unvermeidlichkeit. Nichts wird mit ihnen bewiesen, nicht einmal die Schuld der Zerstörung. Alles wird betrachtet, beobachtet: Weil einem die Welt immer neu ist.
„Le monde et les bras. Aux enfants l'Afrique.“ Bis 18. November, Oranienstraße 24, Mi-Sa 13-19 Uhr
Wem die Welt nie neu war, wer darin schon immer nur das „Große“ und viel Gerühmte erkannte, dem wird ein Kinderspiel nie zur Kunst. Auch wenn er feststellt: „Denn wer weiß schon, woraus die Kunst geboren wird“. Diese Frage, die Gerald Uhlig im Januar dieses Jahres anläßlich seiner „szenischen Komposition“ über Pablo Picasso stellte, ist für ihn längst beantwortet. Man nehme ... allerlei hübsche, geheimnisvolle oder gewichtige Orte, und veranstalte dort wie zuletzt im Zoo-Aquarium „eine bespielte Ausstellung: Von Fischen, Menschen und anderen Kunstwerken“. Da hilft schon der Ort der kruden Illustration weiter, und ein leichter Gewinn fällt in des Meisters Schoß. Sodann nehme man den berühmten Sockel, auf dem Kunstwerke ruhen und dekoriere darauf knallbunte Objekte, „Stierkopfhai nach Corrida“, „Flughaie beim Liebesspiel“. Viele Kunstfreunde lieben aber Uhligs grobe Effekte. In der Galerie Loulou Lazards sind Großfotografien seiner Installation und szenischen Komposition „Das Lied des Karpfens“, die 1992 in der Neuen Nationalgalerie zur Aufführung kam, „bipolar“ der „virtualistischen Malerei“ Götz Valiens zugeordnet. Das macht die Sache nicht besser.
Bis 4. November, Crellestraße 42a, Di-Fr 15-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr Brigitte Werneburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen