Siemens gibt Schule ab

■ Einzige private Berufsschule Deutschlands soll an Senat "übergeben werden" / Acht Millionen Mark einzusparen?

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Doch es sieht ganz so aus, als ob die Werner-von-Siemens-Werkberufsschule in absehbarer Zeit ihre Pforten schließen muß. Die Besitzerin der einzigen Privatberufsschule Deutschlands, die Siemens AG, spricht von einer „Übergabe“ an den Senat, über die noch zu verhandeln sei. Acht Millionen Mark müsse der Konzern pro Jahr für die Schule aufbringen. Dabei kann Siemens durch eine Schließung lediglich vier Millionen Mark einsparen: Die Gehälter der 51 Lehrer zahlt ohnehin schon die öffentliche Hand.

Zur Zeit besuchen knapp 1.100 Auszubildende die 1906 gegründete Schule. 223 davon sind „Fremdschüler“, die nicht bei Siemens ihre Ausbildung absolvieren. Bei den Firmen bestehe eine steigende Nachfrage, Azubis an der Berufsschule ausbilden zu lassen – und das, obwohl an öffentlichen Schulen eine kostengünstigere Ausbildung möglich ist. Der Grund dafür ist die Verknüpfung von theoretischer und praktischer Ausbildung in den Bereichen Elektro und Metallverarbeitung, die an der Siemens-Werkberufsschule seit Jahren praktiziert wird. Besonderer Wert wurde dabei auf die Förderung von Selbständigkeit gelegt, auf Eigenverantwortung und die Fähigkeit, im Team arbeiten zu können.

Schule und Betrieb arbeiten Hand in Hand, um die hohe Qualität der Berufsausbildung zu sichern: Die Schule liefert die fachtheoretische Ausbildung und arbeitet nach einem eigens konzipierten System. Dabei findet der Unterricht handlungsorientiert und in Wochenschwerpunkten statt. In den Betrieben erfolgt die fachpraktische Ausbildung, die Unterrichtsschwerpunkte der Schule finden zeitgleich ihr praktisches Gegenstück im Betrieb.

Größere Klassen und Aus für die Imagepflege?

Durch diese Nähe gibt es eine ganze Reihe gemeinsamer Projekte. Fachinhalte können einfach aufeinander abgestimmt, Lehrmittel gemeinsam entwickelt werden. Neue Konzeptionen und neue Techniken, so die Lehrer, könnten dadurch schneller als in öffentlichen Schulen umgesetzt werden.

Ein Vorteil, den Schüler und Lehrer gleichermaßen sehen. All dies, so befürchten die Schüler, könne im Zuge der Schließung der Schule wegfallen. Auch die geringe Klassenstärke von etwa 20 Schülern würde bei einer Übergabe der Ausbildung an den Senat der Vergangenheit angehören: An öffentlichen Schulen sind Klassen mit 30 Schülern keine Seltenheit.

In der Vergangeheit, so beurteilen die Lehrer in einem Papier die Schließung der Schule, habe die Siemens AG den zukunftsorientierten Ausbildungsstil an der Werkberufsschule zur Imagepflege genutzt. Verwunderlich sei, daß all das jetzt nicht mehr gelten solle. Es sehe so aus, als sei die Siemens AG nicht mehr an einer qualifizierten und auf die Unternehmensbedürfnisse ausgerichteten Ausbildung interessiert. Die Sprecherin von Siemens, Ilona Thede, will das so nicht stehenlassen. Bei den Verhandlungen zwischen Siemens-Vertretern und dem Senat erwartet sie intensive Gespräche darüber, wie der hohe Standard der Ausbildung beibehalten werden könne: „Man wird bei Siemens darauf achten, daß man Impulse eingeben kann.“ Martin Böttcher