Tractatus tele-criticus

■ 18 1/2 Gründe über das Fernsehen und irgendwie so

Wir leben in Zeiten, in denen die berühmteren Fernsehkritiker unserer Republik ihre Thesen mit lutheranischer Wucht aufs Papier klopfen. Dem Trend zur knappen Form wollte unser Autor nicht nachstehen und hat unerschrocken selbst einmal mit dem Hammer philosophiert:

für Jobst (verzeiiih mir)

1. Fernsehen besteht aus Bild und Ton. Wie lange noch?

2. Wer dieser Frage nachgeht, ist ein Fernsehkritiker. Kraft seines Verstandes zergliedert er das Zusammenspiel von Bild und Ton und vertraut die gewonnenen Einsichten einer interessierten Öffentlichkeit an. (Bisweilen unter dem Abusus geistiger Getränke.)

3. Fernsehkritiker sind verkabelt und im Vollbesitz einer Fernbedienung. Manche geben zusätzlich einen Löffel Zucker in die Schnittblumen. Dann halten sie länger – was im folgenden jedoch kaum eine Rolle spielt.

4. Axiom: Was sich überhaupt destillieren läßt, läßt sich klar destillieren. Alles, was darüber hinaus geht, fällt in den Bereich der spirituellen Fernsehkritik.

5. Schlimmer als all das ist, daß es neben den Fernsehkritikern noch Fernsehmacher gibt. Gedanke: Zwischen diesen und jenen besteht ein Verhältnis. Jene beziehen sich in ihren Schriften oft auf diese. Diese danken es jenen durch gesteigerte Aufmerksamkeit bis hin zu sonstigen Vergünstigungen. Nützen diese jenen oder jene diesen?

6. Je nachdem.

7. Die von den Fernsehmachern verfertigten Erzeugnisse lassen sich wie folgt rubrizieren: a) ARD, b) ZDF, c) Private, d) Piratensender, Zwischenformen und n-tv.

8. Der geltungsbewußte Fernsehkritiker bedenkt eine Rubrik seiner Wahl mit niederschmetternder Kritik. Man kann auch mehrmals wählen.

8a. Ob diese oder jene: Wer im Kaffeehaus den feinen Herrn spielt, während sein Hund unter den Tisch kotzt, soll fortan ein gemeiner Lump heißen.

9. Der Erfahrungsschatz lehrt: Kritiker mit gehobenem Geltungsbewußtsein verstehen es, freihändig bis zehn oder zwanzig zu zählen.

10. Zehn und zwanzig sind runde Zahlen.

11. Axiom II: Flachfliegende Gedanken gewinnen durch eine sorgfältige Numerierung: auf eins folgt zwei, auf zwei folgt die drei, auf drei die vier, usw. usf.

12. Der großzügige Gebrauch erlesener Begriffe verleiht dem Kritiker Rang und steigert den Wohllaut seines Taufnamens.

13. Lehrsatz: Die gleißnerische Kraft dieser Begriffe steht in umgekehrt porportionalem Verhältnis zu ihrem Aussagewert.

14. Es muß etwas geschehen.

15. (Im VIP-Zelt:) „Nehmen Sie Sahne in die These?“ – „Lieber etwas Zitrone, Herr Intendant.“ – „Aber gerne, mein Lieber.“

16. Sauer macht lustig. Jetzt.

17. Ihr Lumpen!!! Kommet alle zu Euch, die ihr bezappt seid!

18. Beiläufig gesprochen: Die Fernsehkritik ist dabei, sich ihrem Gegenstand formal anzuverwandeln. Kein Schnitt ohne Gegenschnitt. Kein Satz ohne Bingo.

Deutschland im Herbst,

Martin Muser