■ Tour d'Europe
: „Das Boot ist voll“

Sie nennen sich „national“, „rechts“ oder „extrem rechts“, gerne auch „demokratisch“ – genannt werden sie „rechtsextrem“, „neofaschistisch“ oder, in England schon lange, jetzt auch im Deutschen, „rassistisch“: Parteien, die mit ausländerfeindlichen und nationalistischen Kampagnen um Wählerstimmen werben und von denen viele auch vor Gewalt und Militanz nicht zurückschrecken. Ihre Prägung in Europa ist unterschiedlich: Gewinnen rechtsextreme Parteien in den Staaten der EG überwiegend mit Plädoyers gegen Einwanderung und multikulturelle Gesellschaft ihre Stimmen, ist der immer stärker werdende Rechtsextremismus in Osteuropa noch überwiegend antisemitisch. In Skandinavien, insbesondere in Norwegen, kämpfen Rechte für niedrigere Steuern und gegen den vermeintlichen Mißbrauch des Sozialstaates. Regionale rechte Bewegungen wiederum propagieren Autonomie und Separatismus anstelle von Nationalismus.

Gehören rassistische Parteien in Westeuropa jetzt zum politischen Alltag, waren sie zuvor lange Zeit ein Tabu. Bloß in Italien sitzt die neofaschistische MSI seit 1948 ununterbrochen im Parlament und registrierte in den 70er Jahren mehr als 400.000 Mitglieder. Seit Ende der 80er kämpft die norditalienische Lega Lombarda um Stimmen: mit Kampagnen gegen die korrupte politische Klasse in Rom, gegen ihre Landesgenossen im Süden und gegen Immigration. 1992 wurde die Lega in Brescia stärkste Partei. Bei den Parlamentswahlen erreichte sie 8,7 Prozent und übertraf so die MSI mit 5,4 Prozent.

In den siebziger Jahren begann die rassistische Mobilisierung in England mit zahlreichen Gewaltausbrüchen gegen Einwanderer. Seit den Achtzigern werden mit Themen wie Rassismus auch Wahlen gewonnen. Frankreich verfügt mit der Front National seit 1984 über die einfluß- und erfolgreichste rechte Partei in Europa sowie mit zehn Abgeordneten über die größte Gruppe rechtsextremer Europaparlamentarier. In Wien erreichte Haiders FPÖ, bereits 1956 gegründet und lange Zeit politisch bedeutungslos, 1991 mit 23 Prozent fast ein Viertel der Stimmen.

Der Vlaams Blok, seit 1977 eine der offensten rassistischen Bewegungen in Europa, bindet landesweit etwa sechs und im Industrie- und Handelszentrum Antwerpen 25 Prozent der Wähler.

Nur in der Bundesrepublik und in den Niederlanden waren rechtsextreme Parteien bis weit in die achtziger Jahre ein Tabu. Während sich „Republikaner“ und DVU bei uns durchgesetzt haben, sitzen jetzt auch in den Niederlanden fünf rechte Parteien im Parlament – von denen bisher allerdings keine über zwei Prozent kam.

In Osteuropa ist die Organisation rechter Gruppen – mit Unterstützung aus dem Westen, insbesondere aus Deutschland – in vollem Gange: Kämpft in Rumänien die ungarische Minderheit ums Überleben, haben Juden in vielen osteuropäischen Staaten inzwischen die Flucht ergriffen.jgo