Nationale Parolen auf dem Vormarsch

■ Rechtsextreme Parteien haben sich in Westeuropa einen dauerhaften Platz in der Politik verschafft

In den meisten Staaten Westeuropas kämpfen Parteien mit aggressiven Kampagnen gegen Einwanderer erfolgreich um Wählerstimmen. Nicht nur in Deutschland überschreiten die „Republikaner“ und die DVU bei Landtagswahlen regelmäßig die Fünfprozenthürde. In Frankreich unterstützen bereits seit zehn Jahren etwa elf Prozent der Wahlberechtigten Le Pens Front National. Die zweitgrößte Stadt Belgiens, Antwerpen, wird möglicherweise ab dem kommenden Jahr vom rechtsextremen Vlaams Blok regiert werden. Und auch in den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, Italien, Dänemark und Schweden sind rechtsextreme Parteien im Parlament vertreten.

Von Medien und Politikern etablierter Parteien werden sie meist als Protestparteien ohne kohärentes Programm und gesellschaftliche Verankerung betrachtet – als sogenannte single issue-Parteien, deren Programm sich auf „die Ausländer“ beschränke und politikverdrossene Wähler anziehe. Folglich wird das Erstarken rechtsextremer Parteien oft für ein zeitlich begrenztes Warnzeichen, dem mit einer verbesserten Innenpolitik begegnet werden könne, gehalten.

Dies könnte sich jedoch als folgenschwerer Irrtum entpuppen. Tatsächlich versteckt sich hinter den Äußerungen von Protest und dem Widerstand gegen Einwanderer eine Bewegung, die auf dem besten Wege ist, eine Dauerstellung in der westeuropäischen Politik zu erwerben, und die sehr wohl über eine ausgearbeitete Ideologie verfügt.

Interviews machen deutlich, in welchem Maße die Vertreter rechtsextremer Parteien das kapitalistische Denken des politischen Establishments ablehnen. Sowohl „den Materialismus des Marxismus wie den der kapitalistischen Tendenz“ lehne er ab, äußerte Bruno Negret, Ideologe der Front National. Dem auf seinen eigenen Vorteil bedachten Bürger stellt seine Partei traditionelle Werte gegenüber. Wirtschaftliche Freiheit funktioniere nur, wenn sie auf nichtwirtschaftlichen Werten fuße. Karel Dillen, graue Eminenz des Vlaams Blok, betont die Bedeutung der Religion für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Der ehemalige „Republikaner“ Emil Schlee hält die Europäische Gemeinschaft für „nicht lebensfähig, weil ihr ein materielles Konzept unterliegt“. Der Feststellung, daß die moderne Gesellschaft an Normlosigkeit zugrunde gehe sowie der gescheiterten „Disziplin des Marktes“, stellen rassistische Parteien eine Alternative gegenüber: ethnische Sauberkeit.

Zeitgleich mit ihrem Aufstieg stürzen ihre sozialdemokratischen Kollegen immer weiter ab. Immer mehr sozialistische Parteien lösen sich auf. Traf dieses Schicksal zunächst nur die kommunistischen Parteien, verlieren inzwischen auch die Sozialdemokraten. Die italienische PSI wurde bei den Lokalwahlen 1992 deutlich dezimiert, bei den Nationalwahlen 1993 verloren die französischen Sozialisten über die Hälfte ihrer Anhänger, während die Front National ihr bisher höchstes Ergebnis feiern konnte: 12,5 Prozent. Und obwohl in Deutschland die „Republikaner“ am meisten von der CDU/ CSU gefürchtet werden, verliert auch die SPD an sie.

Ähnlich wie die sozialistische Bewegung in der Vergangenheit vielen ein Gefühl von Solidarität und Sicherheit bot, bieten heute statt dessen Le Pen, Dewinter und Schönhuber die Illusion der „harmonischen, ethnisch homogenen Gemeinschaft“ an. Betraf die Solidarität der Sozialisten alle Arbeitnehmer, ist die Front National jedoch nur solidarisch mit einheimischen Arbeitnehmern, mit „aktiven Franzosen“, wie sie in ihrem Vokabular heißen. Oder, wie Le Pen es formuliert: „Ich liebe meine Töchter mehr als meine Cousinen, meine Cousinen mehr als meine Nachbarinnen, meine Nachbarinnen mehr als die Unbekannten ... Ich liebe eher die Franzosen, das ist mein gutes Recht.“ Er spricht aus, was für viele ein Gemeinplatz ist: Es ist einfacher, deinen Nächsten zu lieben als einen Fremden. So erklärt sich auch das Paradox, das Parteien, die sich oft „rechts“ oder „nationale Rechte“ nennen, einen Großteil ihrer Anhänger unter ehemaligen Wählern der linken Parteien haben. Ethnische Solidarität verwischt offenbar die Grenzen zwischen links und rechts.

Die politische Landschaft Westeuropas verändert sich rasant. Anfang der achtziger Jahre waren es die Grünen, die mit neuen Themen wie Abrüstung, politischer Dezentralisierung und Ökologie die etablierte Politik herausforderten. Spätestens seit den Europawahlen 1989 ist jedoch deutlich, daß auch die rassistischen Parteien mit ihrem Plädoyer für ethnische Solidarität Wähler der traditionellen Parteien an sich binden. Mit 21 Abgeordneten zogen rechtsextreme Parteien aus Belgien, Frankreich, Italien und der Bundesrepublik in das europäische Parlament. Daß sich dieser Trend auch bei den Europawahlen 1994 fortsetzt, gilt heute schon als wahrscheinlich. Frank Elbers, Meindert Fennema

Die Amsterdamer Politikwissenschaftler sind Autoren des Buchs „Racistische Partijen in West-Europa“, Stichting Burgerschapskunde, Leiden 1993. Eine englische Übersetzung wird 1994 erwartet.