„Man kann doch wahnsinnig viel erreichen“

Zwei junge Ostberlinerinnen wollen Arbeit und Kinder, Gleichberechtigung und offene Beziehungen: „DDR-Frauen fühlen sich stärker“ / Eine Untersuchung des Leipziger Jugendinstituts kommt zu ähnlichen Ergebnissen  ■ Von Sabine am Orde

„Na klar will ich mal Kinder, und zwar von dem, mit dem ich jetzt zusammen bin.“ Susi lacht und stellt das vierte schwarze Bistrotischchen dort auf, wo vorher zwischen Theke und Klavier noch die Tischtennisplatte gestanden hat. Ab 19 Uhr ist Kneipenbetrieb im Café Crise des Alternativen Jugendvereins im Ostberliner Lichtenberg, und Susi hat heute Dienst. „Aber ich will auch freiberuflich als Journalistin arbeiten.“ Daß diese beiden Dinge sicher nicht leicht zu vereinbaren sind, darüber macht sich die 18jährige keine Sorgen. „Mit ein paar Abstrichen bei der Karriere und den Finanzen wird das schon zu machen sein.“

Das ist auch für Anja keine Frage. Die schlanke, junge Frau mit dem schwarzgefärbten Pagenkopf schwingt sich auf einen Barhocker. „Mach doch noch mal die Filmmusik“, sagt sie zu Susi, die inzwischen hinter der Theke steht, und kurze Zeit später erfüllt Klaviermusik aus „Das Piano“ den sonnengelben Raum. Noch ist das Café fast leer, und Susi hat nichts zu tun. Die beiden Freundinnen lassen sich auf dem alten Sofa neben der Eingangstür nieder. Sie kennen sich schon aus der Schule und machen beide in diesem Jahr Abitur. Anja will Gesang studieren, vorher aber eine Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau machen. „Als Sicherheit und weil meine Stimme noch weiter ausgebildet werden muß“, sagt sie. Und auch Anja weiß: „Wenn ich beides will, Beruf und Kinder, dann geht das auch.“

Diese Klarheit wundert Soziologin Barbara Bertram nicht. Die Wissenschaftlerin hat für ihre Studien am Deutschen Jugendinstituts in Leipzig auch Ostmädchen befragt. „Sie setzen auf das Modell Vereinbarkeit“, urteilt Bertram. Dabei sei ihre Berufstätigkeit keine Frage bewußter Auseinandersetzung, sondern schlicht selbstverständlich. Kein Wunder. Schließlich haben Generationen von DDR-Frauen ihnen gezeigt, daß beides geht, Beruf und Familie.

Auch die finanzielle und rechtliche Unabhängigkeit ihrer Mütter stand für sie außer Frage. Im Vergleich zu Westfrauen steht für Susi deshalb fest: „DDR-Frauen haben eher das Gefühl, mit beiden Beinen im Leben zu stehen, eben unabhängig vom Mann existieren zu können. Ich glaube, die fühlen sich einfach stärker.“

Doch auch die Doppelbelastung ihrer Mütter ist den jungen Frauen klar: „Mir hat als Kind oft Wärme und Zuneigung gefehlt“, sagt Susi und spielt nachdenklich mit den Lederbändern an ihrem linken Arm, „aber meine Mutter war auch total überfordert.“ Die Lehrerin hat ihre beiden Töchter alleine großgezogen. Auch Anjas Mutter war die ganze Zeit erwerbstätig. Die Historikerin arbeitet heute bei der PDS, und ihre Arbeit ist ihr „urst wichtig“. „Natürlich hat meine Mutter die Hauptlast der Familie getragen. Aber für mich ist sie ein Beispiel, daß man's schaffen kann. Zu DDR-Zeiten auf jeden Fall.“

Doch die beiden sind sich sicher: So wie ihre Mütter wollen sie es nicht machen. „Ich will eine absolut gleichberechtigte Beziehung“, sagt Susi, „und Robert müßte auch bei den Kindern die Hälfte übernehmen.“ Anja träumt von einer offenen Partnerschaft: „Mein Mann soll mein allerbester Freund sein, auch dann, wenn ich mal in einen anderen verliebt bin.“

Die Tür geht auf, und ein dünner junger Mann mit lockigem Pferdeschwanz stürmt auf Susi zu. Umarmungen, heftige Küsse. Dann setzt sich Robert mit seinem Freund an den Nebentisch. „Ist er nicht süß?“, fragt Susi und lacht. Mit einer konzentrierten Unterhaltung ist es erst mal vorbei, immer wieder wandern ihre Blicke nach nebenan.

Trotzdem erzählt sie von ihren Plänen nach dem Abitur: Sie wird in die USA und nach Lateinamerika reisen, und dann ihre Ausbildung anfangen. Das Kinderkriegen habe noch Zeit. Aber eine „alte Mutter“ will sie auch nicht sein: „Mit 30 das erste Kind, das ist mir zu spät.“ Zu DDR-Zeiten sei es selbstverständlich gewesen, in jungen Jahren ein Kind zu bekommen: direkt nach der Ausbildung oder während des Studiums. Doch damals war für Frauen die Zukunft klarer und zuverlässiger planbar. Die Wohnung war sicher, der Kindergartenplatz, der Job. Offiziell ist jetzt jede fünfte Frau im Ostteil des Landes arbeitslos, die Dunkelziffer liegt weit höher. Und die unsichere Lebenslage der Ostfrauen zeigt Folgen: Seit der Wende ist die Geburtenrate in den neuen Ländern um mehr als die Hälfte zurückgegangen. „Natürlich war die Situation früher einfacher, und diese totale Existenzangst gab es nicht.“ Susi schiebt ihre Nickelbrille hoch. Doch sie fühlt sich überhaupt nicht verunsichert: „So ein Quatsch! Man kann doch wahnsinnig viel erreichen, wenn man will und das Engagement dazu hat“, lautet ihr Credo.

Susi ist keine Ausnahme. „Die jungen Frauen sind optimistisch, was die Zukunft angeht“, urteilt Wissenschaftlerin Bertram. „Sie sind selbstbewußt und leistungsorientiert und denken, sie schaffen es.“ Doch Susi und Anja ist auch klar, daß es bei vielen DDR- Frauen vorbei ist mit der Selbstsicherheit. Die Ursache dafür sehen sie nicht nur in der Arbeitslosigkeit, sondern auch in der Karlsruher Entscheidung zum Paragraphen 218. „Die haben einfach gegen uns entschieden: trotz klarer Umfrageergebnisse und Demonstrationen. Das war ein Schlag in die Magengrube“, sagt Susi. Sie engagiert sich nicht mehr: „Das ist doch aussichtslos, die machen ja doch, was sie wollen.“ Anja stimmt zu: „Dieses Gefühl von Machtlosigkeit macht soviel kaputt.“ Sie will „mit Politik erst gar nichts zu tun haben“, doch zur Frauenbewegung fühle sie sich zugehörig. „Die ist als Identifikationsmodell wichtig für mich.“

Anja steht auf und kommt mit einer Tafel Schokolade an den Tisch zurück. Ob sich die Situation für DDR-Frauen verschlechtert hat? „Gleichberechtigung gab's früher nicht, und die ist jetzt auch nicht da“, sagt sie und schiebt sich ein Stück Joghurt-Schokolade in den Mund. Beide Staaten hätten ihre Frauenklischees, Bilder wie Frauen sein sollen. „In der DDR solltest du Arbeiterin, Mutter und Aktivistin in einer Person sein“, sagt sie, „heute gibt es nur die Hausfrau, die nichts anderes macht, oder die Karrierefrau, die alles spielend hinkriegt.“ Das seien keine Alternativen. Auch die Anmache auf der Straße habe seit der Wende zugenommen und Äußerlichkeiten seien jetzt wichtiger. „Daß ich mir die Beine rasieren soll, um schön zu sein für Männer, das ist doch blöd“, sagt Anja empört.

Dieses kritische Bewußtsein sei eher selten, meint Soziologin Bertram: „Es ist wenigen klar, daß sie als Frauen diskriminiert werden. Die meisten glauben, daß es an ihnen selber liegt.“

Inzwischen hat sich das Café gefüllt, drei der vier kleinen Tische sind besetzt. Die Nachfrage an Getränken steigt, Susi muß hinter die Theke. Anja ist „todmüde“ und will ins Bett. Sie schlüpft in ihre schwarze Jacke, die beiden küssen sich. An der Tür stößt sie fast mit einem Rosenverkäufer zusammen. „Na, liebst du mich?“ ruft Susi durch den Raum. Aber Robert kauft keine Rose.