■ Denn die Ärze wußten, was sie im Blutskandal taten
: Vom Guten des Bösen

So tragisch die Auswirkungen des Blutskandals für die betroffenen Patienten sind, so wertvoll sind die Erfahrungen mit der Inkompetenz des Apparates für den zukünftigen Umgang des Medizinbetriebes mit offiziellen Verlautbarungen. Alle sind irritiert und verunsichert – und das ist gut so! Zu lange haben alle aktiv Beteiligten (Ärzte, Pharmaindustrie und Gesundheitspolitiker) ihre Verantwortung hinter den scheinbar so perfekt funktionierenden Sicherheitsmechanismen des Obrigkeitsstaates versteckt. Jeder verließ sich auf den anderen. Kamen keine eindeutigen Anweisungen von oben, bestand kein Handlungsbedarf. Dabei hätte spätestens seit Anfang der achtziger Jahre, nachdem gesichert war, daß das HIV-Virus via Serum übertragen werden konnte, jedem Arzt klar sein müssen, daß er jeden Patienten, der Blut oder Blutersatzstoffe bekam, einem potentiellen Risiko aussetzte. Wer außer den Ärzten hätte eine Vorstellung davon haben können, wo die akuten und unausweichlichen HIV-Risiken schlummern?

Fachfremde Gesundheitspolitiker sind da noch am ehesten entschuldigt. Ihr Problem liegt darin, daß sie zwar Entscheidungs-, aber eben letztlich keine eigene Bewertungskompetenz haben. Sie sind auf seriöse und unbedingt lobbyunabhängige Informanten im Ministerium und BGA angewiesen. Hier lag und liegt die große Schwachstelle unseres ach so perfekten Gesundheitssystems. Die versammelte Ministerial- und BGA-Bürokratie kann ihren Vorgesetzten wie einen Bär am Nasenring durch die Arena ziehen. Wer in zehn Beamtenjahren fünf Minister überlebt, fühlt sich unangreifbar.

Die Komplikationen mit Bundes- und Länderkompetenzen kommen erschwerend hinzu. Die Vorwürfe der SPD-Gesundheitsexperten gegenüber Seehofer sind bigott. Auf Länderebene hätten SPD-Gesundheitsminister Gelegenheit genug gehabt, zu wiederholten Blutspenderkontrollen und restriktiver Anwendung der Gabe von Blut und Blutersatzstoffen aufzurufen – wenigstens das (siehe DRK-Skandal in Hagen). Gesundheitspolitik ist vermintes Gelände. Das merkt jetzt auch Seehofer, der ständig mit neuen Tretminen aus der Zeit seiner Vorgänger rechnen muß. Wie wenig er sich dabei auf seine beamteten Zuträger stützen kann, geht ihm täglich schmerzlich auf. Der Mann ist weiß Gott nicht zu beneiden. Dieser bitteren Erfahrung entspringt das, was Ärztepräsident Vilmar verwegen „Aktionismus“ nennt. Dieses Urteil, verehrter Kollege, steht uns Ärzten nicht zu. Auch die offizielle Medizin ist meiner Meinung nach ihrer Sorgfaltspflicht nicht gerecht geworden. Jeder einzelne von uns hätte – dank besserer Urteilskraft – viel früher warnen müssen. Weil wir die Risiken kannten und nicht gänzlich ausschließen konnten, hätten wir sie wenigstens beherzter minimieren können. Heidi Schüller

Medizinerin, Journalistin, Autorin von „Die Gesundmacher“, Rowohlt Berlin