■ Ökolumne
: Atommüll, nein danke! Von Jens Scheer

Es galt lange Zeit als gemeinsames Prinzip aller AKW-GegnerInnen, nicht über Atommüllagerung zu reden, während weiterer produziert wird.

Schon dies wird leider seit einiger Zeit durchbrochen, indem öffentlich Überlegungen und sogar konkrete Konzepte als positive Lösungsmöglichkeiten vorgestellt werden. Meist beinhalten sie, den Atommüll auf unbestimmte Zeit in einem stillgelegten AKW zu lagern. Seitens des Öko-Instituts wurden sogar schon konkret durchgerechnete technische Konzepte dafür vorgelegt. Dabei ist leicht einsichtig, daß die bei der Kritik an Atomkraftwerken diskutierten Einwirkungen von außen – typischerweise Flugzeugabsturz – auch bei stillgelegten AKWs eine Katastrophe auslösen können. Denn auf lange Zeit steckt im Atommüllager das Tausendfache der Hiroschima-Radioaktivität, und gegen solche Gefahren ist kein Meiler gewappnet und kann es auch nicht werden. Bin ich deshalb für Abtransport des Atommülls und Lagerung anderswo?

Keineswegs, das ist gerade der Punkt – ich bin überhaupt und nie und nimmer positiv „für“ irgendeine Methode der Atommüllagerung zu haben. Und nicht nur jetzt nicht, sondern auch nach der Stillegung aller Atommeiler nicht. Denn jede Zustimmung, jetzt oder irgendwann spä-Foto: Dietmar Gust/Zenit

ter, zu irgendeiner Atommüll-Behandlung, -Bewegung, -Lagerung bedeutet Zustimmung, daß irgendwo und irgendwann Menschen geschädigt werden.

Das könnte man ja als gesinnungsethischen Rigorismus abstempeln, aber diese Position hat auch ganz praktisch-politische Bedeutung: Jede jetzt geäußerte Bereitschaft, nach Stillegung aller Atomanlagen konstruktiv mit den jetzigen BetreiberInnen in der Frage der Atommüllagerung zusammenzuarbeiten, ist ein Beitrag zur Verharmlosung des Problems.

Denn es wird signalisiert: Wenn erst einmal die Stilllegungsforderung erfüllt ist, werden wir schon gemeinsam eine alle zufriedenstellende Lösung finden. Außerdem trägt es dazu bei, daß St. Florian wieder sein häßliches Haupt erhebt und die Bewegung spaltet. Denn AnwohnerInnen von AKWs können, läßt man sich überhaupt auf derlei Gedankenspiele ein, mit Recht sagen: „Bloß weg von hier mit dem Dreck, und wenn's dann eben nach Gorleben oder Schacht Konrad ist.“ Leute an Endlagerstandorten könnten kontern: „Behaltet den Dreck bloß in ,euren‘ AKWs!“ Makabrer noch ein sich schon abzeichnender globaler Florianismus, wie ihn E.U. von Weizsäcker verbreitet, wenn er den Atommüll nach Sibirien schaffen will; auch die strahlenverseuchten Gebiete Kasachstans, Nevadas, der Wüste Gobi bieten sich an.

„Aber irgendwas muß doch mit dem Atommüll geschehen, und bei dessen Lösung dürfen wir uns doch nicht versagen, das wäre ja eine Verweigerungshaltung, und damit machen wir uns doch unglaubwürdig gegenüber der Gesellschaft.“ So hört man selbst ehemals radikale Leute sprechen, so fühlen offenbar viele.

Ganz im Gegenteil, unsere Aufgabe ist es, in aller Schärfe klarzumachen: Eine Lösung des Atommüllproblems gibt es schlicht nicht und wird es, kann es nie geben. Und an stufenweisen Bewertungen herumzudoktern, weil die eine Methode vielleicht etwas weniger gefährlich als die andre sein könnte, ist kaum etwas anderes, als heute Atommeiler nach ihrer Gefährlichkeit zu ordnen, so daß das eine etwas weniger unverantwortlich als das andere erscheint.

Abgesehen davon, daß eine solche Argumentation die grundsätzliche Kritik an der Atomenergie schwächt, sehe ich auch überhaupt keinen Grund, warum wir uns verpflichtet fühlen sollten, in irgendeiner Weise konstruktiv mitzuarbeiten oder solche Mitarbeit für den Fall der Stillegung anzukündigen.

Sollen doch die politisch Verantwortlichen nach erfolgter Stillegung aller Atomanlagen und Beendigung des Atomprogramms das in den großen Atomforschungszentren vieltausendfach versammelte Gehirnschmalz einzig auf den Zweck orientieren, die relativ am wenigsten gefährliche Behandlung des Atommülls herauszufinden – ich werde dennoch jedes Konzept kritisieren, denn jedes wird zum Gesundheitsschaden und Tod von Menschen führen, und kein zustimmendes Wort dazu wird je über meine Lippen kommen.

Der Autor ist Physikprofessor an der Universität Bremen.