„Blocker“ und „Zieher“ unterwegs

■ Neue taz-Serie über Kriminalität in Bremen, Teil 1: Taschendiebstahl, seit 1990 verdreifacht

Die Dame hatte gerade den Fuß auf das Trittbrett des Intercity gesetzt, da drängte sich ein junger Mann vor — und blieb auch noch vor ihr auf dem Treppchen stehen. All ihre Aufmerksamkeit richtete sich nach vorn. Daß ihr ein weiterer Mann unter vorgehaltenem Mantel die Börse aus der Handtasche zog, merkte die Frau nicht. Und als sie es merkte, war die Börse längst weitergegeben, nämlich an den „Gegenobservanten“ (Polizeijargon). Das ist der Dritte im Bunde neben dem „Blocker“ und dem „Zieher“. Dieser Dritte ist meist ein älterer Mann, der den Einsatz in der vordersten Reihe nicht mehr nötig hat, stattdessen die Lage abcheckt und der Opfer- Auswahl zustimmen muß.

Früher konnten das die Taschendiebe allein: auskundschaften, ablenken, beklauen, abhauen. Heute, so Volker Nixdorf, Leiter des K 63 bei der Bremer Polizei, seien die Taschendiebe nicht mehr so geschickt, sie müssen also arbeitsteilig vorgehen. Richtige Tricks wenden nur wenige an. Furore machte im vergangenen Jahr eine Gruppe Südamerikaner, die offenbar straff organsisiert vor allem Flughafenstädte heimsuchte. Und so geht ihr „Verschmutzertrick“: Die sehr schniek gekleideten Herren beobachteten in Banken, welcher Mann viel Geld abhob. Dem folgten sie, bekleckerten ihn von hinten mit Mayonnaise und machten ihn dann von vorne höflichst auf die Verschmutzung aufmerksam, die er sich wohl irgendwo zugezogen habe. Während sie mit Tempotaschentüchern an dem Jackett des Bekleckerten herumwischten, stahlen sie ihm die Börse aus der Jackettinnentasche. „Die kriegt man so gut wie nie“, sagt Nixdorf.

In diesem Jahr ist ein viel plumperer Trick Mode: „Na, wie schwer bist du — ich wieg bestimmt mehr“ — so spricht eine Gruppe junger Männer leicht alkoholiiserte Opfer an. Scheinbar aus Jux heben sie ihr Opfer hoch und ziehen ihm die Börse aus der Gesäßtasche.

Die Aufklärungsrate bei Taschendiebstählen ist gering: Im vergangenen Jahr sind in der Stadt Bremen 3.073 Taschendiebstählen angezeigt worden (die Dunkelrate ist viel höher), aufgeklärt wurden gerade mal 175, also 5,7 Prozent. Zur Definition: Als Taschendiebstahl wird das gewaltlose Herausnehmen von Wertsachen aus lose getragenen Tachen oder Hosen- und Manteltaschen bezeichnet. Die Anzahl der Taschendiebstähle in Bremen ist von 1990 bis zur Jahresmitte 1993 um das Dreifache angestiegen.

Geklaut wird besonders gern an verkaufsoffenen Samstagen, weil dann die Leute viel Geld bei sich tragen, und auf dem Freimarkt. Auf dem Bahnhof sowieso. Und an den Haltestellen Schüsselkorb, Domsheide, Brill. Besonders häufig werden die Leute beim Einsteigen beklaut.

Opfer sind zu 85 Prozent Frauen. Manchmal wundern sich die Beamten vom K 63, wie leichtsinnig manche Frauen ihre Börse oben auf dem Einkaufskorb herumtragen. Wenn man schon das Geld in einer Tasche bei sich trägt statt am Körper, dann sollte man die Tasche vor dem Körper tragen, am besten einen Daumen in der Schlaufe, raten die Experten. Denn selbst Reißverschlüsse halten Diebe nicht ab. Nur an Schnallen mag niemand so recht ran.

Ein Großteil der Taschendiebstähle wird nach Angaben der Kripo von reisenden Ausländern (besonders Rumänen und Nordafrikanern) verübt. Die Kriminalstatistik scheint der Kripo recht zu geben: Jedenfalls waren 1992 von 182 Tatverdächtigen rund 70 Prozent Nichtdeutsche. Allerdings werden Ausländer auch schneller verdächtigt als Deutsche.

Neuerdings sind immer mehr Diebe bewaffnet, sagt Komissariatsleiter Nixdorf. Mit den Waffen bedrohten die Täter allerdings nicht die Beklauten sondern hinzueilende Helfer. cis

Bis einschließlich Freitag klärt die Polizei täglich von 16 bis 18 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz über das Thema Tschendiebstahl auf.