Publikumsverarschung bei irischer Provinzposse Von Ralf Sotscheck

Daß die Engländer seit Hunderten von Jahren anti-irische Cartoons und Witze erfinden, ist nicht nur höchst verwerflich, sondern offenbar auch überflüssig: Die irischen Politiker schaffen es nämlich auch ohne fremde Hilfestellung, sich lächerlich zu machen. Die neueste Posse, die für europaweite Erheiterung sorgte, trug sich jüngst auf der berühmten Dubliner Bühne für Kleinkunst zu: dem Dail. Das ist das irische Wort für das Parlament.

Hauptdarsteller Albert Reynolds, der vor seiner Wahl zum Premierminister als Countrysänger durch das Land getingelt ist, erklärte den Abgeordneten, daß für Irland ungefähr 7,3 Milliarden Pfund (circa 17 Milliarden Mark) aus dem EG-Strukturfonds abfallen werden. Das Stammpublikum erinnerte sich jedoch, daß Reynolds an gleicher Stelle mit dem gleichen Stück bereits im Juli aufgetreten war. Nur der Text war etwas anders: Damals hatte der Country- Minister noch von 7,8 Milliarden Pfund gesprochen, die ihm EG- Kommissionspräsident Jacques Delors fest zugesagt hätte. „Vielleicht können wir sogar 8,7 Milliarden Pfund abziehen“, frohlockte Reynolds, der wohl meinte, daß es keinen Unterschied mache, ob man eine Zahl von hinten oder von vorne liest.

Fatalerweise sind Reynolds' Französischkenntnisse keinen Deut besser als seine mathematischen Fähigkeiten. So blieb ihm der EG-Mechanismus mit dem Namen „fourchette“ (Gabel) verborgen, der besagt, daß es bei der Planung der Geldvergabe eine Unter- und eine Obergrenze gibt. 7,8 Milliarden war leider die Obergrenze und keine feste Zusage. Das habe er im Juli dem Premiersänger und seinem Außenminister Dick Spring auch geduldig erklärt, sagte Delors in der vergangenen Woche. Gar nicht wahr, riefen Reynolds und Spring am Mittwoch im Chor.

Einer lügt, meint nun das Publikum, das sich allmählich verarscht vorkommt. Reynolds und Spring haben nicht nur das Dail-Theater in Verruf gebracht, so hieß es, sondern die gesamte Insel. In seltener Einmütigkeit beschlossen alle Oppositionsparteien, einen Mißtrauensantrag zu stellen, der am Mittwoch und Donnerstag aufgeführt wird. Schließlich hatte die Regierung die 7,8 Milliarden Pfund bereits in ihren „Nationalplan“ zur Schaffung von Arbeitsplätzen fest einbezogen. Der „Plan“ kann allerdings ohnehin nur funktionieren, wenn die Auswanderung wieder auf 15.000 Menschen pro Jahr steigen würde. Muß man wegen der fehlenden Millionen aus Brüssel nun noch mehr IrInnen in die Wüste schicken? Ein Sündenbock für das Dilemma war schnell gefunden: der Regionalkommissar Bruce Millan, ausgerechnet ein Schotte. Er habe einfach das schöne Geld nicht herausgerückt, daß Delors den Iren geben wollte.

Verschärfend kommt hinzu, daß Millan Wiederholungstäter ist: Bereits 1989 hatte er den Iren 450 Millionen Pfund aus dem EG-Topf gestrichen, weil die Iren pro Kopf wesentlich mehr als alle anderen Europäer erhalten. Die irischen Medien beschimpften den Labour- Mann daraufhin als „typisch britischen Tory“. Auch diesmal hat Millan den irischen Finanzminister Bertie Ahern nicht nur im Juli, sondern nochmals vor zwei Wochen gewarnt, daß aus den 7,8 Millionen nichts wird. Ahern hat ihn jedoch ausgelacht und behauptet, das sei wieder einer „von Millans üblichen Tricks“.