■ Nach 40 Jahren Prüderie: Pornoboom in Prag: Der Trost an prallen Brüsten
Prag (taz) – Faltenlos gebügelte Hemden, schnieke Krawatten und italienische Schuhe tragen die Männer. Seite an Seite sitzen sie in Chromsesseln. Gespannt umklammern ihre Hände das Stuhlwerk. Glänzende Augen und offene Ohren verfolgen das Geschehen: Die Herren verbringen ihre kostbare Mittagspause in einem Prager Sexshop und genießen einen deutschen Porno, der in Fachkreisen als erste Güte gilt.
Nach mehr als 40 Jahren kommunistischer Prüderie treiben die Geschäfte mit Lust und Liebe in Prag unaufhaltsame Blüten. Ein Bummel durch das Zentrum zeigt mit einschlägigen Hochglanzmagazinen überbordende Kioske, stolze Busen auf Streichholzschachteln und in Negligés kostümierte Frauen auf Telefonkarten. In Kaufhäusern liegen verheißungsvolle Pornovideos neben Softopern. Und alle paar Tage verteilen Jugendliche in den engen Gassen der „Goldenen Stadt“ Handzettel: Sextheater garantieren „wahre Liebe auf der Bühne“.
Schon hat die methodistische Kirche der Moldau-Metropole den moralinen Zeigefinger erhoben und ihre Anhänger aufgefordert, Beschwerdebriefe an die Politiker zu schicken: Das Pornogeschehen verführe Jugendliche zu vorehelichem Geschlechtsverkehr. Doch auch Politiker werden allmählich geil: „Nova eroticka iniciativa“ (NEI) ist eine Partei, die bei den letzten Wahlen knapp der Fünf- Prozent-Hürde unterlag. Sie wirbt im tschechischen Fernsehen mit Verführerinnen – alle gut drauf und selbstverständlich oben ohne.
„Nach der Revolution fühlten sich die Menschen, als hätten sie irre viel verpaßt“, sagt Magdalena, eine 24jährige Psychologiestudentin. „Außerdem müssen sie nun keine Angst mehr haben, wenn sie Leo-Sexmagazine kaufen oder Luckyboy-Streichholzschachteln sammeln. Damals war das doch alles verboten.“ Jiri Kabele, Soziologieprofessor an der Karls-Uni, weiß eine andere Theorie. In einem Interview erklärte er unlängst, daß die schnelle Umstellung zur Marktwirtschaft für viele TschechInnen befremdlich und lähmend sei. Pornographie spende da möglicherweise eine Art Trost.
Frantisek Stepanek sind die Gründe egal, Hauptsache der Rubel rollt. Der Besitzer der Firma Luckyboy, in der jene lustvollen Streichholzschachteln hergestellt werden, spricht von „Spitzengewinnen“. 1990 habe er das Unternehmen gegründet und in den ersten sechs Monaten gleich 100.000 Exemplare verkauft. Stepanek: „In diesem Jahr rechnen wir mit 1,5 Millionen. Das würde sicherlich nicht klappen, wenn wir Vögel auf die Schachteln kleben würden.“
Eine 45 Kronen teure Ausgabe des Economist wirft Kioskbesitzern 6,5 Prozent Gewinn ab, der Hustler zu 156 Kronen dagegen 22 Prozent, erklärt Jan Prusa, Mitinhaber eines kleinen Zeitungsstandes am Wenzelsplatz.
Inzwischen hat sich auch der Prager Stadtrat ins Geschehen eingeklinkt. In einer Empfehlung ans Parlament heißt es: Steuern für Sex-Material sollen raufgesetzt und Shops aus Hauptgeschäftsstraßen verbannt werden. „Total blöd“ findet das der Angestellte in einem Sexshop am Prager Hauptbahnhof. „Menschen sollten überall das bekommen, was sie dringend brauchen“, fügt der Herr lüstern hinzu. Andere behaupten, daß die Menschen in Prag bald abkühlen und sich das Problem somit auf natürliche Art löst. „Wir rechnen mit einem Drittel weniger Leser in dem nächsten Jahr“, sagt Miroslav Prochazka, Herausgeber des tschechischen Erotikmagazins Cats. Deshalb möchte er mit seinem Heft demnächst auch in Polen, Rußland und Bulgarien erscheinen. Das Magazin helfe nämlich jedem, Phantasien zu verarbeiten. Tomas Niederberghaus
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