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Nebensachen aus BudapestEuro(Ro)mania

■ Wie Rumänien um die Eintrittskarte nach Europa wirbt

„Wir sind Rumänen“, beschwört der Kapitän leise, halb klagend, halb flehend die Runde. Später klingt ehrlicher Trotz heraus. „Rumänen sind wir. Wir wollen nicht mehr das Letzte in Europa sein.“ An einer Stelle auch Stolz. „Wir sind Rumänen.“

Auf dem fünfzig Meter langen Flußdampfer „Stern der Donau“, der neben der Budapester Elisabeth-Brücke festgemacht hat, wird Abschied gefeiert. Abschied von „Euroromania“. In ungezählten Werbefilmen hat das rumänische Staatsfernsehen das Kulturprogramm „Euroromania“ angepriesen. Euroromania – Passau, Wien, Bratislava und Budapest. Euroromania – Rumänien in Europa. Rumänische Kunst, rumänisches Schauspiel, rumänische Literatur, rumänisches Theater in Europa, nach Europa, für Europa.

Abschied in Budapest. Die Uhr geht gegen zwei, draußen peitscht der Wind Regen durch die Nacht. Überfüllt war der Saal nicht. Die meisten sind längst gegangen. Die Zeitungen in Ungarn haben nichts geschrieben. Plakate hingen keine in Budapest. Abschied der Verlassenen. Einer liest bitter-ironische Texte vor über rumänische Kultur und den aktuellen Wechselkurs des Leu zum Dollar.

Euroromania. Nirgendwo in Osteuropa liegt ein Land so hoffnungslos zerrüttet da wie Rumänien. Nirgendwo in Osteuropa wird so viel von Europa geredet und geträumt wie in Rumänien. Europa zäunt das Land ein wie eine Anstalt, damit die Insassen nicht ausbrechen. In der Anstalt werden emsig die historischen und sonstigen Verbindungen zur Außenwelt ausgegraben und hilflos vorgezeigt.

Europa sieht keine Verbindungen. Um so mehr ist Europa den Rumänen zur Manie geworden, zur Idée fixe, zur rasenden Sehnsucht.

Zwei andere Worte werden viel gebraucht im Balkanland: Somalia. Und: Zivilisation. Wenn es um verrottete Neubaublocks und notorische Versorgungskrisen, um die Slums und den Unrat in der Metropole geht. Sind wir hier in Somalia? fragen die Zeitungen. Seien wir zivilisiert, beschwichtigen Wartende, wenn in der Schlange am Brotladen gerempelt wird. Geht es auch zivilisiert? empören sich die Passagiere, wenn die Achse des Busses mitten auf der Hauptstraße bricht.

Rumänien und Europa. Der ewige Komplex unter der dünnen Decke des Stolzes. Mehr tragisch oder mehr lächerlich? Europa ist Rumäniens blaue Blume, Rumäniens Blauer Engel. Rumänien verhält sich zu Europa wie der zweifelnde, störrische und doch wieder demütige Gläubige zu Gott.

„Der Landgang und der Einkauf zwischendurch waren interessanter als das Kulturprogramm“, sagt der Kapitän schmunzelnd zum Abschied. Die übriggebliebenen Anwesenden, fast alle Rumänen, brechen in das ehrlichste Lachen des Abends aus.

Dann wird der Kapitän traurig. „In einem Geschäft in Passau hat mich der Ladendetektiv am Ausgang angehalten und kontrolliert. Wird das immer so bleiben mit uns Rumänen? Wir sind Rumänen. Wir haben eine große europäische Kultur. Warum sind wir die Ausgestoßenen Europas? Die Zigeuner fahren nach Deutschland, und immer, wenn sie stehlen, geben sie sich als Rumänen aus. Unser Name wird beschmutzt. Wir sind Rumänen. Und das wollen wir auch sein. Und nicht irgendwelche Zigeuner.“ Keno Verseck

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