Haltung Fehlanzeige

■ Schauspielhaus: Premiere von „Troilus und Cressida“

Nach der überzeugenden und auf eine überraschende Art beswingten Eröffnung der neuen Schauspielhaussaison mit Rainald Goetz' Kritik in Festung und Elfriede Jelineks Wolken.Heim. erfuhr die Euphorie am Sonntag einen kleinen Dämpfer. Die erste Arbeit des deutschen Regie-Shooting-Stars Leander Haußmann in Hamburg, Shakespeares Troilus und Cressida, krankte an derartig vielen Stellen, daß sich die Frage stellt, ob hier ein Talent verglüht ist. Haußmanns vierstündiges Spiel um Liebe, Treue, Wankelmut und Intrigenspiel im Trojanischen Krieg fand weder zu erzählerischen Linien, noch zu einer Haltung.

Erstaunlich vor allem, wie rheumatisch sich das Kniestück des Dramas, die Beziehung der trojanischen Fürstenkinder, bewegte. Anne Bennent und David C. Bunners wirkten, als müßten sie in ihrem Spiel eine übernatürliche Abneigung gegeneinander überwinden. Hölzern, konfus und der Interpretation eines Beziehungskernes mit allen möglichen Fliehkräften begegnend, blieb ihre erotische Bezogenheit eine schlappe Behauptung. Bunners wußte scheinbar nie, ob er jetzt der Leidenschaftliche, der Einfältige, der Heroische oder nur der Eitle sein sollte, hampelte oft bis an die Grenze der Peinlichkeit und sprach dazu noch so undeutlich, daß viele ältere Zuschauer vor Empörung laut schnauften.

Daß aber auch eine ausgewiesen große Schauspielerin wie Anne Bennent in vier Stunden nicht weiter kommt als bis zu einem nervtötenden, hysterischen Schnaufen, das ans Sauerstoffzelt mahnt, aber nicht ans Schauspiel denken läßt, bestürzte doch ein wenig. Stereotyp und der Absicht nach unergründet wurde der in der Rolle angelegte Konflikt „Treue, Lust oder Selbständigkeit“ weder schlüssig thematisiert noch entschieden.

Gelangen Haußmann mit der gelenksteifen Truppe frustrierter Griechenhelden zumindest anfänglich immer wieder lustige Szenen, so blieb nach der Pause die Luft im Foyer. Einfallslos häkelte sich das Stück bis zum finalen Gemetzel. Eine Position zum Krieg fehlte ebenso wie die schlüssige Forterzählung von menschlichen Schicksalen. Schauspielerische Einzelleistungen gaben der Tragikkomödie immerhin gelegentlich Dynamik. Überragend etwa Peter Brombacher als der zynisch-maulfeile Griechenhelfer Thersites oder Wolfgang Pregler als der von seiner bemitleidenswerten Blödheit zum Spielball anderer Interessen gezwungene Held Ajax. Doch auch der Rest des fast komplett neuen Ensembles ließ öfter erkennen, daß hier eine spannende Konstellation entstehen könnte, wenn sie denn jemand wirklich wollen würde.

Einzig Bühne und Kostüme von Helmut Stürmer fütterten die Phantasie. Ein stilvolles Gemisch aus japanischen, griechischen, mittelalterlichen und modernen Elementen und die Leistungen der neuen Untermaschinerie gewährten ein milderndes Abschweifen der Gedanken. Aber auch das konnte nicht wirklich über die fehlende Interpretation und instabile Bauweise der Arbeit des zukünftigen Intendanten des Bochumer Schauspiels hinwegtrösten.

Till Briegleb