„Wir werden keine Revoluzzer sein“

■ Wache schieben statt Trübsal blasen: Wie die Belegschaft von Lemwerder ihr Werk in Betrieb hält

Oliver Mädler tritt von einem Fuß auf den anderen. Trotz Sonne ist es kalt an diesem Morgen, doch der 25jährige Fluggerätemechaniker, Vater von zwei Kindern, weiß, warum er hier steht: Er bewacht das Tor des Aircraft Service Centers in Lemwerder, damit nicht etwa die Geschäftsleitung der „Dasa“ Maschinen abtransportieren läßt. Am Tor hängen neuerdings Dienstpläne: „Mittwoch, 24 — 6 Uhr“ steht da etwa, darunter sechs Namen. Das Firmenschild am Eingang haben die Leute überklebt: Der Zutritt ist jetzt nicht mehr Unbefugten verboten, sondern der Geschäftsführung.

Trotzdem hat man den Werksleiter Schildmann heute morgen um 7.30 Uhr durchgelassen. „Der duldet, was wir machen.“ Auch die MeisterInnen und sogar die AbteilungsleiterInnen machen bei den Protesten mit. Man hält zusammen, denn die wenigsten würden außerhalb der Dasa einen Arbeitsplatz finden: In der näheren Umgebung gibt es sonst weder Luftfahrtindustrie noch Basen. „Und anderswo fängt man wieder ganz unten an“, sagt Betriebsrat Bernd Junge.

Stolz sind die 1.300 Beschäftigten in Lemwerder auf ihre Arbeit: Sie sind bekannt dafür, daß sie eine gute „Struktur“, also Außenhaut machen. Und manchmal fliegen die Männer und Frauen aus der Wesermarsch bis nach Pakistan, um dort einen gestrandeten Airbus zu reparieren. Das Argument „zu teuer“ weisen sie zurück: Zwar liegt der Stundensatz mit 120 Mark vergleichsweise hoch, doch sei man durch Arbeitsumorganisationen Anfang des Jahres zum schnellsten Service- Center der Welt aufgerückt.

Und weil sie keinen Kunden verprellen will, arbeitet die Belegschaft unverdrossen weiter:

Unbefugten Chefs ist der Zutritt verboten: Die Flugzeughalle der DasaFoto: Katja Heddinga

An den fünf Transall-Transportflugzeugen der Bundeswehr in Halle 12 schrauben zum Beispiel über hundert Leute, sogar am Sonntag. Selbst für den Umrüstungsauftrag, der dem Lemwerder-Werk entzogen worden ist, brüten die Konstrukteure noch Arbeitspläne aus.

Nein, nein, sagt Betriebsrat Karl-Heinz Volksmann, „wir werden keine Revoluzzer sein, wir werden auch keine faulen Eier auf die Geschäftsleitung werfen“. Wenn sie denn endlich kommt: Morgen ist Betriebsversammlung, zumindest die nächsthöhere Leitungsebene aus Hamburg hat sich angesagt. Die Münchner Dasa-Chefs haben im

hierhin bitte

das Foto von der

Halle, wo ein

Mechaniker am

Flugzeugflügel

arbeitet

mer noch nicht geantwortet. Dafür haben sie jetzt eine Klage am Hals: Gestern beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht Oldenburg eine einstweilige Verfügung, durch die der Geschäftsleitung die Verlagerung von Aufträgen an andere Werke untersagt wird — jedenfalls bis zum Abschluß von Verhandlungen über einen Interessenausgleich.

Was sind die Leute in dem ganzen Schlamassel froh, daß einer ihrer Betriebsräte zugleich Bürgermeister von Lemwerder und Landtagsabgeordneter der SPD ist: der Hans-Joachim Beckmann, der vor lauter Redenhalten eine Halswehtablette nach der anderen lutscht. Über das

Faxgerät der Landtagsfraktion konnten nämlich sämtliche Medien informiert werden. Beckmann war's auch, der den Kontakt zu Wirtschaftsminister Fischer hergestellt hat. Und sogar Ministerpräsident Schröder kommt am Mittwoch zur Betriebsversammlung.

Nicht nur die Landtagsfraktion trägt ihr Scherflein bei zum Arbeitskampf. Die IG Metall hat natürlich Leute geschickt, die die Arbeitskreise betreuen und verschiedene Plakataktionen organisieren. Im Zimmer für „Arbeitssicherheit“ hat sich zum Beispiel nun die Flugblattgruppe niedergelassen. Ein örtlicher Baumarkt spendiert jede Menge Stangen

für Transparente, der Zivi in der Begegnungsstätte malt Transparente, und das Rote Kreuz hat ein Zelt aufgestellt, in dem Gulasch mit Zwiebelbroten ausgeteilt wird.

Skeptisch sind sie schon, die 1.300 Kämpferseelen, ob man wirklich gegen die Daimler- Spitze gewinnen kann — aber zuhause rumhocken und Trübsal blasen?

Nee, dann lieber Wache schieben: 30 Leute haben sich mittlerweile für die Nachtschicht am Tor eingetragen. Und die Stellenausschreibung am Schwarzen Brett für einen Sattler ist auch noch nicht abgehängt. Christine Holch