Letzte Warnung vor dem „finalen Ende“

■ Wieder Anschlag: Kreuzberger „Klassenkampf“ geht weiter „Klasse gegen Klasse“ bekennt sich zu Granatenexplosion

Zum Handgranatenanschlag auf das Kreuzberger Restaurant „Auerbach“ hat sich jetzt die Gruppe „Klasse gegen Klasse“ bekannt – und zugleich einen neuen Anschlag verübt. Ein an der Scheibe des italienischen Spezialitätenladens „Alimentari & Vini“ angebrachter Sprengkörper detonierte und schoß nach Angaben des Besitzers ein Projektil in den Laden in der Skalitzer Straße. Personen wurden nicht verletzt. In einem Drohbrief an den Betreiber wurde unter Angabe einer Frist gefordert: „Verschwindet“.

Das Geschäft ist seit geraumer Zeit das Ziel von Drohungen und Anschlägen durch die Gruppe „Klasse gegen Klasse“. Nach einer ersten schriftlichen Aufforderung, „proletarisches Terrain“ zu verlassen, brannte Ende August der Kleinbus des Besitzers aus. Der jetzige Anschlag, bei dem nach den Worten von „Klasse gegen Klasse“ ein „leichter Sprengsatz“ detonierte, sei als „zweite Warnung“ zu verstehen. Eine „dritte Warnung“, so drohen die Absender des Schreibens unmißverständlich, „entfällt“. Wenn der Lebensmittelladen nun nicht fristgerecht Kreuzberg verlasse, wird „Plünderung oder finales Ende wie bei Auerbach“ angekündigt.

Die Truppe, die sich nach ihrer eigenen Darstellung als kämpfende Vertreterin der Arbeiterklasse versteht, bewies bei der Anfertigung des Sprengkörpers erhebliches handwerkliches Geschick. Anders als beim „Auerbach“, wo man eine Handgranate durch eine eingeschlagene Scheibe warf, wurde eine metallene Taschenlampe zu einem Schußapparat mit separatem Zünder umgebaut. Der polizeiliche Staatsschutz, der den Anschlag bestätigte, sieht jedoch keine neue technische Qualität. Zwar liege noch keine Analyse des Spengkörpers vor, doch sei zumindest eine prinzipielle Bauanleitung schon in autonomen Zeitschriften veröffentlicht worden.

Das Restaurant „Auerbach“, bei dem in der vergangenen Woche ein Schaden von ungefähr einhunderttausend Mark entstand, wird nicht aufgeben. Anders als zunächst befürchtet, verzeichne das Lokal nach dem Anschlag einen guten Besuch und Solidaritätsbekundungen, erzählten Mitarbeiter. Aufgeben sei keine Frage: „Was sollen wir denn machen – das ist doch unsere Existenz“, erklärte Mitarbeiter W. Ungeklärt sei derzeit noch, ob die Versicherung zahlt – allein die Reparatur der farbigen Bleiverglasung kostet 30.000 Mark. Das „Auerbach“ war bereits viermal Ziel von Anschlägen durch „Klasse gegen Klasse“; einmal flog eine Rauchbombe in das Restaurant, ein anderes Mal wurde ein Eimer Fäkalien ausgeleert.

Die militante Gruppe hat sich zu einer Vielzahl von Anschlägen bekannt, die als Kampf gegen die drohende Umstrukturierung von Kreuzberg durch Spekulanten und „pseudoalternativen Mittelstand“ ausgegeben werden. Auch von autonomer Seite wurde „Klasse gegen Klasse“ mehrfach unter dem Motto „Lernt zielen“ vorgeworfen, die „falschen“ Zielgruppen im Visier zu haben. So seien unter den von „Klasse gegen Klasse“ eingestandenen zwanzig Brandstiftungen gegen angebliche „Nobelkarossen“ auch Autos von kleinen Leuten und ausländischen Berlinern gewesen. Kritisiert wurden von autonomer Seite auch die Drohungen gegen die Betreiber von kleinen Läden in der Oranienstraße und die undifferenzierte Bedrohung von Dachgeschoßbewohnern als Profiteure der Luxusmodernisierung. „Die absolut kontraproduktiven Aktionen dieser Gruppe“ lassen „keine andere Wahl, als entschieden Stellung dagegen zu beziehen“, schrieben „einige Autonome“ kürzlich in der autonomen Zeitschrift Interim. „Pseudoalternative Mittelschichtler wie Mietspekulanten profitieren letztendlich voneinander“, antwortete daraufhin „Klasse gegen Klasse“: „Der einzige Platz für Mittelklasseschmarotzer ist zwischen Mündungsfeuer und Einschuß.“

Beim Brandanschlag auf ein Reisebüro am Südstern in Kreuzberg, bei dem am Wochenende die Räume vollständig ausbrannten, gibt es nach Auskunft der Polizei bislang keine Hinweise auf einen politischen Hintergrund. Gerd Nowakowski