Ich Du & Wir

■ Schlecht formulierte gute Absichten bei der europaweiten Plakataktion "I am You - Künstler gegen Gewalt"

Betroffenheit macht sich breit – Künstler melden sich auf Plakaten zu Wort gegen „Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Haß und Gewalt“ in Deutschland und Europa. Sie verlassen den abgeschirmten Bezirk von Galerie- und Ausstellungsräumen und gehen auf die Straße, wenden sich an die breite Öffentlichkeit. „I am you“ heißt die neueste Aktion, die von zwanzig namhaften internationalen Künstlern und dem Goethe-Institut getragen wird. Die „Open-air- Ausstellung“ tritt mit gesamteuropäischem Sendungsbewußtsein auf: Nach dem zeitgleichen Start in Odessa, München und der Kulturhauptstadt Europas 1993, Brüssel, sollen die Plakate kostenlos an alle interessierten Städte, besonders aber die medienbekannten Problemgemeinden, und selbst – in verkleinerter Form – an alle Schulen verliehen werden. „Alle Bereiche des Denkens und Fühlens“ möchten die Künstler mobilisieren, um so eine „größere Immunisierung in Europa gegen Haß und Fremdenfeindlichkeit“ zu erreichen.

Doch um zu wirken, bedarf es mehr als schlecht formulierter guter Absichten: Es bedarf Bilder, die provozieren und irritieren, Bilder, die auffallen, dem hastigen Passanten wie dem Autofahrer. All dies sind medienspezifische Funktionen: Wer sich des Plakats bedient, muß die geistige und körperliche Entfernung des Publikums einkalkulieren und die Distanz um der Botschaft willen überspringen. Genau dies leisten viele der ausgestellten Bilder nicht – sie verharren in einer Indifferenz, die ihre Entsprechung in der Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber Fremdenfeindlichkeit und Gewalt hat. Die wenigen plakativ engagierten Statements gehen im Ensemble unter.

Im Gegensatz nämlich zu früheren Aktionen haben es die Initiatoren vermieden, die von der Städtereklame ausgewiesenen Werbeflächen zu nutzen. Um „Mißverständnisse“ auszuschließen, hat man sich dann doch wieder in einen Kunstraum zurückgezogen – auch wenn dieser sich unter freiem Himmel befindet. Das Medium Plakat und die Ausstellungsform treten so in einen unauflösbaren Widerspruch auf Kosten der Spontaneität, der Konfrontation und Provokation, das heißt letztlich: auf Kosten der Aussagekraft.

Wer in diesen Herbsttagen von Westen über den Königsplatz nach München kommt, passiert zwei Plakatstaffeln. Der Ort und die Zeit sind günstig gewählt: An diesem, vor wenigen Jahren zu einer Grünfläche rekultivierten Aufmarschplatz nationalsozialistischer Verbände ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen, macht Sinn. Man wollte „entsprechende“ symbolische Orte für die Aktion finden. Mit dem Königsplatz in München und der Potemkinschen Brücke in Odessa hat man eine solche denkwürdige Umgebung nutzen können. Da reiht sich nun Plakat an Plakat. Kommentarlos präsentiert Jannis Kounellis alte Bretter und ein Nähmaschine in einer Badewanne. Lawrence Weiner bietet die wohlfeile Gleichung, daß ich und du wir sind, auf französisch an. Eine Aussage, die Popsongs im Refrain glaubwürdiger intonieren. Rosemarie Trockel aus Köln stiftet ein Gruppenbild netter Kinder aus aller Welt, das –ironisch gemeint oder nicht – die bekannte Werbung für die bunte Weltgemeinschaft des Konsums unterhalb jeder aufmerksamkeitserregenden Reizschwelle wiederholt. Wie ein Geschenkpapier, auf dem in allen Sprachen der Welt die herzlichsten Glückwünsche ausgedrückt sind, kommt der Beitrag von Jochen Gerz daher. Erst wer dem Plakat ganz nahe kommt und lange genug nach bekannten Vokabeln sucht, findet eine subtile Farbfeldverteilung, die immer zwei Sprachen zusammenführt: „Menschen sprechen“ über nationale und kulturelle Grenzen hinweg miteinander. Schön wär's. Viele Bilder erwecken den Eindruck, die Künstler hätten sich für den guten Zweck gelangweilt einer Pflichtübung unterzogen. Die Abbildung des menschlichen Hirns kann in diesem Zusammenhang genauso wenig überzeugen wie die Computergrafik von Ugo Dossi, die mit einer Messewerbung der „Systems 93“ verwechselt werden könnte.

Wie reagieren Sie, wenn ein Kind ganz cool eine Knarre auf Sie richtet? Marie-Jo Lafontaine kommentiert das Bild mit dem aufreizenden Satz „Als das Kind noch Kind war“. Plakatwirksam ist auch die Fotomonage von Daniel de Waele: Ein schreiendes Gesicht in der Mitte, und links und rechts geht man in Deckung vor Heckenschützen und Granaten. „What if it would happen to you?“ Ein Frage, die uns besser im gleichgültigen Alltagstrott zwischen U-Bahn, Büro und Supermarkt getroffen hätte.

Im Mai hatte die Düsseldorfer Fotokünstlerin Katharina Sieverding Berliner Bürger und Bürgerinnen auf mehr als 500 Plakaten mit dem Bild eines messerumstanden Kopfes und der Aussage „Deutschland wird deutscher“ konfrontiert. Das Nebeneinander von Produktwerbung und politischem Plakat, das grauenerregende, aber nicht eindeutige Motiv, der provokante Satz – sie stifteten Verwirrung, rissen Passanten aus ihrer Gleichgültigkeit, forderten die Auseinandersetzung heraus. Sieverdings jetziger Beitrag zu „I am you“, flammenumzingelte menschliche Gestalten, wird im fest umgrenzten Ausstellungsbereich vergleichsweise stumm bleiben. Wenn aber unser – in Sieverdings Arbeit angeführtes – „Geistesleben-Wirtschaftsleben- Rechtsleben“ mit den Menschen in Flammen aufgeht – dann sollten Veranstalter, Künstler und Politiker es nicht bei halbherzigem Betroffenheitsaktionismus bewenden lassen, der vor allem dazu dient, das eigene Gewissen zu beruhigen. Ira Mazzoni