Krieg in der asiatischen Schweiz

Zankapfel Kaschmir: Der Konflikt zwischen muslimischen Separatisten und der indischen Armee schwelt weiter. Und er hat Mitkämpfer angezogen: In der Hazratbal-Moschee sollen sich Söldner aus Afghanistan und dem Mittleren Osten tummeln.

Die Kraftprobe zwischen den kaschmirischen Separatisten und der indischen Armee geht weiter. Bisher hat sich die Zentralregierung in Neu Delhi nicht dazu provozieren lassen, die seit zwölf Tagen von rund 10.000 Soldaten umstellte Hazratbal-Moschee von Srinagar zu stürmen. Doch nachdem Ende vergangener Woche mehrere Dutzend Demonstranten erschossen, zwei muslimische Separatisten ermordet und mindestens zehn Personen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen verletzt wurden, hat sich der Graben zwischen Bevölkerung und Staat weiter vertieft.

Wie Khalil ul Rahman, Chef einer der drei größten muslimischen Guerrillagruppen in Kaschmir, und sein Begleiter am Sonntag umkamen, ist noch unklar: Nach Darstellungen der Polizei haben die beiden Männer in Pohru, einem Dorf etwa 40 Kilometer südostlich von Srinagar, von einem fahrenden Motorrad aus auf Polizisten geschossen. Diese hätten zurückgeschossen und beide getötet. Nach Augenzeugenberichten jedoch haben Polizisten Rahman erkannt und festgehalten, nachdem ihnen ein Informant einen Tip gegeben hatte. Dann habe man ihn und seinen Begleiter erschossen.

Die Hazratbal-Moschee am Stadtrand von Srinagar ist die meistverehrte religiöse Stätte im mehrheitlich von Muslimen bewohnten Kaschmir. Unter ihrer Kuppel wird ein Haar des Propheten Mohammed aufbewahrt. Nicht zufällig begann die jüngste Krise denn auch mit dem Gerücht, die Schlösser zum Schrein seien aufgebrochen worden. Kurz danach wurde die Moschee von paramilitärischen Einheiten abgeriegelt.

Die Regierung, so hieß es offiziell, nehme an, daß die rund 40 kaschmirischen Untergrundkämpfer im Gebäude die Armee zum Eingreifen provozieren wollten – in der Hoffnung, daß diese Schändung in einen Volksaufstand umschlagen würde. Bereits 1963 war das Haar für einige Tage verschwunden, was damals Unruhen ausgelöst hatte. Es wurde einer der Auslöser für eine Entwicklung, die sich dann 1965 im indisch-pakistanischen Krieg entlud.

Andere Gerüchte lauteten, daß die Moschee zu einem Zentrum für die Militanten geworden ist, die dorthin ausgewichen seien, als die in der Nähe befindlichen Universitäten in den letzten Monaten von militärische Einheiten durchsucht wurden. Indische Militärsprecher erklären, daß sich neben mehreren Söldnern aus Afghanistan, Pakistan und dem Mittleren Osten auch Anführer einiger Untergrundgruppen unter den Eingeschlossenen befinden.

Schon einen Tag nach der Errichtung des Belagerungsrings war die kaschmirische Bevölkerung sowohl von politischen und religiösen Führern wie auch von den Lautsprechern der Hazratbal-Minarette herab aufgefordert worden, sich zur Moschee zu begeben. Diesmal reagierte die Regierung in Delhi überlegt. Angesichts früherer Erfahrungen wies Premierminister Narashima Rao eine Erstürmung des Schreins zurück. Er warf den Militanten vor, die heilige Stätte mit Waffen zu entweihen.

Doch auch in Kaschmir, einst die Schweiz Asiens genannt, wird die politische Nutzung der Gebetsstätte religiös legitimiert. Gerade die Hazratbal-Moschee hatte dem legendären kaschmirischen Autonomisten Sheikh Abdullah oft als politischer Sammelpunkt gedient. Die Aufrufe zum Marsch auf die Moschee führten daher in allen Städten und größeren Ortschaften zu Menschenansammlungen. Darauf ordnete die Regierung ein Ausgehverbot an, und als dies nichts nutzte, wurden die Demonstrierenden mit Tränengas und Stockeinsätzen in ihre Häuser zurückgetrieben. Mehrere Führer politischer Parteien wurden verletzt und verhaftet. Journalisten wurden in das Ausgehverbot einbezogen, weil Kamerateams Inszenierungen von Demonstrationen provozierten. Bislang kam es in Srinagar bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei, Paramilitärs und Armee „nur“ zu Verletzten. An anderen Orten ließen sich die Ordnungskräfte aber provozieren, wie in dem Ort Bijbehara, wo am es am Freitag zu einem Blutbad kam. Bernard Imhasly, Neu Delhi/li