Zweifel an der Aufschwungsthese

■ Arbeitgeber und Gewerkschaften halten Wachstumsprognose der Konjunkturforscher für zu optimistisch / Institute fordern weitere Zinssenkungen

Bonn (taz/AP/dpa) – Die Summe einer kühnen, mit trockenen Zahlen gespickten Rechnung machte gestern in Politik und Wirtschaft die Runde: Der langersehnte Aufschwung naht, prophezeit von den führenden Wirtschaftsinstituten in ihrem schon zur Tradition gewordenen Herbstgutachten. Doch ob dieser im nächsten Jahr wirklich eintreffen wird, darüber sind sich die Akteure und Beobachter nicht so sicher. Und während die Konjunkturforscher bei der Vorlage ihres Berichts weitere Leitzinssenkungen der Bundesbank forderten, um mehr Investitionen zu ermöglichen, stutzten Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und die Opposition das Orakel als zu optimistisch zurecht.

Glaubt die Mehrheit der Gutachter an ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent im nächsten Jahr, halten die Arbeitgeber diese Zahl lediglich für einen Hoffnungswert. Sie verwiesen auf die hartnäckigen Standortprobleme und pochten angesichts der „verheerenden Ertragslage“ vieler Industrieunternehmen weiter auf eine „grundlegende Neuorientierung in der Lohnpolitik“. Der DIHT kritisierte, in der Prognose zeige sich ein verfrühter Konjunkturoptimismus. Dieser Ansicht schlossen sich auch die Gewerkschaften an: Beim DGB wird das Minderheiten-Szenario des DIW für realistischer gehalten, das für 1994 einen Rückgang des westdeutschen Bruttoinlandsprodukts um weitere 0,5 Prozent voraussagt. Die von den Gutachtern vorgeschlagenen Lohnsteigerungen unterhalb der Inflationsrate lehnten DGB und IG Metall jedoch kategorisch ab. Die Institute hatten für 1994 Tarifsteigerungen um zwei Prozent im Westen bei einer erwarteten Preissteigerungsrate von drei Prozent vorgeschlagen. Im Osten sollten die Löhne nur um sieben Prozent und damit langsamer als vorgesehen auf Westniveau steigen.

Ungeachtet der deutlichen Kritik an ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik sieht sich die Bundesregierung durch das Herbstgutachten in ihren Einschätzungen bestätigt. Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) unterstützte vor allem die Forderungen der Institute nach noch niedrigeren Lohnabschlüssen. Kassenwart Theo Waigel (CSU) erklärte, das Gutachten unterstütze die Finanzpolitik in ihrem Konsolidierungskurs. Zu Einschränkungen im sozialen Bereich gebe es keine Alternative. Er stellte aber eine Rückführung der Steuer- und Abgabenlast ab 1995 in Aussicht. Die Wirtschaftsinstitute hatten gefordert, die hohe Abgabenquote sei ein Wachstumshemmnis und müsse sinken. Die Grenzen der Belastbarkeit seien erreicht; der Staat habe ernsthafter zu sparen als bisher. es