Experimente à la Dr. Frankenstein

■ US-Forscher klonierten zum ersten Mal menschliche Embryos / Mediziner protestieren scharf

New York/Berlin (taz) – Eine Horrorvision ist Wirklichkeit geworden. Zum ersten Mal haben jetzt Wissenschaftler in den USA identische Kopien von menschlichen Embryonen hergestellt. Mit diesen Experimenten, die der Forscher Jerry Hall von der George-Washington-Universität auf einer Sitzung der American Fertility Society schon am 13. Oktober bekanntgab, ist ein bisher auch von den meisten Wissenschaftlern akzeptiertes Tabu gebrochen worden.

Hall, der als Fachmann auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung gilt, hatte aus 17 Embryonen im frühesten Entwicklungsstadium insgesamt 48 identische Kopien „produziert“. Hall zufolge wurden diese aber nicht Frauen eingepflanzt. Angeblich seien die von seinem Team hergestellten identischen Embryonen nicht entwicklungsfähig gewesen. Mit der Klonierung von Embryonen, so Hall, solle Frauen geholfen werden, die auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen. Bei einer künstlichen Befruchtung sei es nun möglich, gleich mehrere identische Embryonen in die Gebärmutter einzusetzen und damit die Chancen auf ein Baby zu erhöhen. Außerdem könnten geklonte Embryonen eingefroren und erst Jahre später in den Mutterleib eingepflanzt werden. Wie die New York Times berichtet, wird aber auch in Betracht gezogen, die „verspäteten“ Zwillinge als Organspender zu benutzen.

Wissenschaftliches Neuland hatte Hall mit seinen Experimenten nicht betreten. In der Tiermedizin wird die Klonierung von Embryonen schon lange praktiziert. Es waren bisher nicht die technischen Probleme, die die Forscher von derartigen Versuchen abgehalten haben. Die angewandte Methode funktioniert so: Beim Klonen werden die Chromosomen, die Träger der Erbanlagen, einer befruchteten Eizelle geteilt. Eine Hälfte verbleibt in dieser Zelle, die zweite wird in eine andere Zelle übertragen. So können sich aus einem Ei zwei oder mehr identische Embryonen entwickeln. Um die Harmlosigkeit solcher Versuche zu beweisen, verweisen Wissenschaftler gern darauf, daß in der „Natur“ auch kloniert wird, wenn zum Beispiel eineiige Zwillinge entstehen.

Nach der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse haben US-Wissenschaftler eine Ethik-Debatte über die Anwendung dieser umstrittenen Methode gefordert. Der Direktor des Forschungsprogramms „Künstliche Befruchtung“ an der Washington-Universität, Robert Stillmann, sagt, wenn die Gesellschaft dies mißtrauisch betrachte, müsse eine ethische Debatte über die neue Technik geführt werden, bevor die Forschungsergebnisse in die Tat umgesetzt würden.

In Deutschland sind solche Experimente seit 1991 verboten. Trotz vereinzelter Kritik an dem Embryonenschutzgesetz, das jegliche Manipulation an befruchteten Eizellen verbietet, ist ihre ethische Fragwürdigkeit in der deutschen Fachwelt unbestritten. In Großbritannien und den USA dürfen, wie der Göttinger Humangenetiker Ingo Hansmann berichet, auch menschliche Embryos, die als Retortenbabys im Labor gezeugt wurden, vor ihrer Einpflanzung in die Gebärmutter durch Zellentnahmen untersucht und bei einer festgestellten Schädigung nicht eingesetzt werden.

Entsprechende Versuche beim Menschen sind nach Ansicht von Professor Wilhelm Braendle von der Universitätsklinik Eppendorf (UKE) in Hamburg „aus ethischen Gründen verwerflich“. Er hält es unter deutschen Experten für unstrittig, daß solche Experimente nicht vorgenommen werden dürften. Dies verbiete das Embryonenschutzgesetz in Deutschland, so der Direktor der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie (Drüsenlehre) und Reproduktionsmedizin am UKE.

Auch US-Experten äußerten sich kritisch. Ein öffentliches Forum in dieser Debatte forderte der Medizin-Ethiker John Fletcher von der University of Virginia. „Unsere Politik der Embryonenforschung ist in totaler Unordnung“, kommentierte er die Experimente. „Die Öffentlichkeit wird darin einen weiteren Schritt auf einem sehr abschüssigen Wege hin zu immer mehr Manipulation sehen“, meinte David Meldrum vom Zentrum für Reproduktionsmedizin im kalifornischen Redondo Beach.

Zu befürchten ist jedoch, daß ähnlich wie bei der Debatte über die Gentherapie beim Menschen mit dem technisch Machbaren die ethischen Grenzen immer weiter verschoben werden. Vor Jahren verwiesen Wissenschaftler die gentherapeutischen Versuche ins Reich der Utopien. Heute sind schon weltweit über 92 Gentherapien durchgeführt worden. Und auch bei den Eingriffen in die Keimbahn des Menschen zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Wolfgang Löhr

Foto: Thomas Raupach/argus