Rache an der Muse

■ George Grosz im Blickfeld der Hamburger Kunsthalle

Zum 100. Geburtstag macht die Hamburger Kunsthalle dem Mann, den man auch den Dada-Marschall nannte, ein achtungsvolles, würdiges Geschenk: Kathrin Hoffmann-Curtius, die Tübinger Kunsthistorikerin und Fachfrau in Sachen kritische Kunstgeschichte, analysiert das der Kunsthalle gehörende Bild „John, der Frauenmörder“ als Gastkurartorin und Neu-Autorin der Publikationsreihe Im Blickfeld in einem kleinen, aber sehr feinen Ausstellungsrahmen.

Grosz, der in Dresden und Berlin studiert hatte (1909 - 1916), galt und gilt als einer der Apologeten intelligenter und kritischer Kunst-Auffassung. Gerne provozierte er in puritanischer Zeit und hatte stets „Nigger-Songs“, den Jazz „im Schädel“. Da wundert es auch nicht, daß er sich eines Zeitgeist-Themas annahm, das enttabuisierend den Frauenmord als eine schöne Kunst betrachtet.

Kathrin Hoffmann-Curtius begründet den Zusammenhang, warum dieses Schreckens-Thema bildwürdig auch bei anderen Künstlern dieser Zeit wurde wie folgt: „Es ist die Faszination am Ungeheuerlichen, an dem Entsetzen, das sonst von der bürgerlichen Moral ausgegrenzt blieb. Der Künstler nimmt damit Normen auseinander. Sicher auch die Norm, die klassische Schönheit in der Kunst sonst hatte.“ Auch sind in der Ausstellung hervorragend recherchierte Vergleichswerke von Max Beckmann, Heinrich Maria Davringhausen, Otto Dix, Paul Klee, Marta Astfalck-Vietz, Hanna Höch und anderen zu entdecken.

1918 waren zerstückelte Tote in Berlin genauso ein Thema wie der Neuanfang nach dem Kriegsende. Aus den Zeitumständen des Ersten Weltkrieges, dem Zusammenbruch der Wertmaßstäbe und dem Ende der wilhelminischen Ära, entwickelt sich das Konzept der Ausstellung; thematisiert wird die Mord-Kunst, bei der „der Maler zum Mörder wird“, indem er den ganzen weiblichen Akt klassischer Schönheit lustvoll zerstückelt und damit zum „Anatom, Chirurgen und Schlachter“ mutiert. „Schneidene Blicke“ sezieren den „Torso“ wie „Fent-Gitter“, die Bildraster und Planquadrate der Moderne.

Den Mord als tabubrechendes Thema hatte Thomas de Quincey bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in London zur Schönen Kunst erklärt. Daß jedoch der Maler selbst jetzt seinen sezierenden und analytischen Blick ins Feld rückt, ist eine neue selbstreflexive Erscheinung, die der Dada-Marschall perfekt inszeniert, und damit den Bereich der Kunst generell einer neuen Befragung unterwirft.

Sein fotografisches Selbstportrait im Atelier mit seiner Muse und Geliebten Eva Peters (1918) zeigt auch eine weitere radikale Wandlung: im Vollzug der Abkehr vom Symbolismus hin zu Expressionismus und Dada.

Der Künstler ist nicht Opfer der Verführungskünste der Musen und ihr triebhaftes Anhängsel, die Muse ist auch nicht mehr bedrohliche Femme Fatale, deren Willkür Logik und Künstlerwillen besiegt. Der Künstler nimmt jetzt ironische Rache an dem, was ihn glücklicher- oder tragischerweise antreibt: an der Frau.

So werden Bild und exquisite Ausstellung zu einem Psycho-Krimi freudscher Prägung : Hitchcock läßt grüßen, und der Geist kritischer Kunstwissenschaft erscheint endlich wieder in der Kunsthalle

Gunnar F. Gerlach

Hamburger Kunsthalle bis 12. Dezember 1993, Publikation: „Kunst im Blickfeld, George Grosz“ von Kathrin Hoffmann-Curtius