Endlos schön

■ Yvonne Goulbier in der Städtischen Galerie

Ganz im Bilde zu versinken, in Licht und Farbe selig zu ersaufen: Keinen schöneren Rausch konnten sich die „Farbfeld“- Künstler der 60er Jahre ausmalen. Vor ihren monochromen Riesenbildern steht uns armen, kleinen Betrachtern noch heute der Verstand still (denn das kann ja nun wirklich jeder Anstreicher besser, wie man regelmäßig im Museum erfährt), und so läßt man am besten gleich alle Ratio fahren und ergibt sich wonnevoll in die unendlichen Weiten der Leinwand. Wie hätten die Maler von damals erst geschwärmt, wenn sie nur einmal in den Farbfeldern ihrer Nachfahrin Yvonne Goulbier hätten baden dürfen: Veritable Felder nämlich hat sie in der Städtischen Galerie angelegt, voll farbenprächtiger Kunstpflänzchen, die im Schwarzlicht flirren, flackern und irrlichtern, daß es eine endlos schöne Pracht ist.

Nun hat die romantische Vorstellung von Unendlichkeit, der noch die braven Farbfeld- Künstler huldigten, mit den Jahren ein paar Korrekturen erlitten. Dank z.B. der Chaostheorie ist die Unendlichkeit eine Sache der Berechnung geworden. Und die Mikroelektronik hat das Immaterielle nun handhabbar gemacht. So muten Goulbiers Farbfelder manchmal wie plastische, gigantisch vergrößerte Mikrochips an, und ihre Räume wie riesenhafte Laboratorien.

Das allein wäre sicher recht beschaulich. Aber Goulbier geht es nicht um die endlose Reproduktion hübscher, identischer Muster, sondern um die feinen Unterschiede, um die Differenz zwischen den scheinbar endlosen Wiederholungen. So bastelt Goulbier fleißig daran, ihre fluoreszierenden Pflänzchen sämtlich per Hand herzustellen und so ihre geometrischen Riesengebilde immer wieder unberechenbar zu machen. Mit dem Ziel, „daß sich das Raster für den Betrachter immer wieder auflöst“.

So findet, wer sich ins Lichtbad plumpsen läßt, die Ordnung im Chaos bzw. umgekehrt, das Kleine im Großen und was dergleichen an Paradoxien sich mehr erdenken läßt. In ihrer „Poesie der Entmaterialisierung“ wird sich schließlich auch das Manifeste ganz leicht: Die mächtigen Pfeiler, die den Ausstellungsraum der Städtischen Galerie gliedern (und manchem Künstler eher im Wege standen), erscheinen in Goulbiers Kunstlicht plötzlich wie immateriell und funkeln unruhig im dunklen Raum herum — bis sie sich in endloses Wohlgefallen auflösen und noch die kühlsten Verstandsmenschen ins Schwärmen bringen. Thomas Wolff

Yvonne Goulbier: „West of the Moon“, bis 19.12. in der Städtischen Galerie