Wie autonom darf die Schule werden?

■ In Holland sollen Schulen pädagogische Autonomie erhalten / Bremer GEW gegen „schrankenlose Autonomie“

Holland ist unendlich weit weg von Bremen. „Management Consultant“ Theo Liket von der Universität Amsterdam referierte gestern über die holländische Schulreform auf einer Tagung der GEW, und trotz des freundlichen Beifalls wurde doch schnell deutlich, daß Welten zwischen den beiden Nachbarn liegen.

In Holland, so der Pädagoge, ist die Schulwahl „total frei“. 73 Prozent der SchülerInnen gehen auf Privatschulen. Sogar die Lehrergewerkschaft habe jetzt den Beschluß unterstützt, den Schulen mit einer Pauschalfinanzierung einfach das Geld zu überweisen und ihnen dann weitestgehende Autonomie zu gewähren, berichtete Liket. Die Autonomie habe einen „gewaltigen Einfluß auf die Innovation der Lehrer dort, wo sie motiviert sind“, freute sich der Holländer. Die Schulen seien eben keine Anstalten wie Gefängnisse, sondern lebendige soziale Organismen. In Deutschland werde er immer gefragt: „Wie ist das geregelt? Nein, das ist nicht geregelt, das ist ja gerade das Interessante, pädagogisch gesehen.“ Er sei Mitglied der nordrheinwestfälischen Schulreform-Kommission und habe die dortige Behörde einmal gebeten, ihm die gesetzlichen Grundlagen zukommen zu lassen. Da sei ein Paket mit 1600 Seiten gekommen, selbst das Mitführen des Verbandszeugs beim Bergwandern sei in Paragrafen geregelt. Gelächter im Saal, in dem 150 GEW-VertreterInnen gebannt zuhören. In Bremen wird seit drei Jahren über das Thema Autonomie in bildungspolitischen Zirkeln debattiert, geschehen ist bisher aber nichts. In der GEW-Diskussion über das Liket-Referat dominierten denn auch die Bedenken.

Ulrik Ludwig von der GEW- Hamburg fürchtet, daß die autonome Schule von der „Konkurrenz untereinander geprägt“ werde: „Die bessere Schule gewinnt, höhere Schülerzuweisung heißt größere Bezuschussung.“ „Autonomie“ von oben heiße Verschlechterung der pädagogischen Leistung. Autonomie sei nur wirtschaftliches Management.

Schon jetzt sei die Tendenz zu erkennen, wandte ein anderer GEW-Vertreter ein, möglichst alles, was die Schule an Aktivitäten organisiert, in die Zeitung zu bringen. „Das heißt, der Konkurrenzkampf hat schon begonnen. Und das sind materielle Bedingungen, die nichts mehr mit Pädagogik zu tun haben. Das sind Autonomieprofilierungen.“

Ein anderes Bedenken: Was wird aus behinderten und gestörten Schülern — würden sie nicht bei einer Profilbildung nur im Wege sein, also abgeschoben werden?

Auch Jan Bücking warnte vor „schrankenloser Autonomie“. Die größte Angst der Bremer GEW-Vertreter: Die Abschaffung der Bezirksschulgrenzen würde freie Schulwahl bedeute, das heißt: Bildung von Eliteschulen, von armen und reichen Schulen.

Viele offene Fragen hatten die GEW-Leute auch: Was wird aus den Mitbestimmungsrechten der LehrerInnen? Nach welchen Kriterien neue KollegenInnen eingestellt? Wie sollen Tarifverhandlungen laufen, wie die Festlegung von Arbeitsplatzbedingungen?

Mißtrauisch war die GEW auch, weil die Autonomiede batte „von oben“ — von Staatsrat Hoffmann — begonnen worden sei. „Wir lehnen sie deshalb ab“, sagte ein Lehrer. „Wir müssen unsere eigenen Vorstellungen von Autonomie erklären.“

Insgesamt waren die GEW- Leute dann aber doch für den Abbau von Vorschriften und Verrechtlichung und dafür, mehr Kompetenzen auf mehr Menschen zu verteilen, für mehr Mitbestimmung, auch mehr Mitbestimmung der Eltern, Schule als Ort der Begegnung waren Stichworte.

Jörg Fischer aus Bremerhaven meinte: „Es muß etwas passieren, so geht es jedenfalls nicht weiter, sonst brechen die Schulen spätestens in 10 Jahren zusammen. Deshalb sollte in jeder einzelnen Schule eine Initiative entstehen, die sich mit der Problematik Autonomie befaßt.“ Die Versammelten baten ihren Landesvorstand, ein Verfahren zu entwickeln, wie die GEW zukünftig vorgehen soll. kw/lou