Bibelforscher überzeugen den Richter

■ Verwaltungsgericht urteilt: Zeugen Jehovas müssen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden / Kulturverwaltung wollte die Religionsgemeinschaft ausgrenzen / Adass Jisroel klagt ...

Die Missionare der Zeugen Jehovas sind im Stadtbild nicht zu übersehen. Bei Wind und Wetter und an den ungemütlichsten Orten bieten sie den Wachturm feil, und Hausbesuche machen sie gerne. In Westberlin wirken etwa 6.000, in Ostberlin und den neuen Bundesländer etwa 26.000 „Bibelforscher“ und in ganz Deutschland etwa 165.000. In Berlin haben sie 18 Gemeindezentren in eigenem Besitz, ihr Hauptsitz liegt im Ostteil. Sie treffen sich dreimal die Woche zum Gebet in den „Königreichsälen“ und führen ein reges und durchorganisiertes Gemeindeleben. Jetzt haben sie etwas getan, was sie selten tun. Sie verklagten das Land Berlin, genauer: die für Religionsgemeinschaften zuständige Kulturverwaltung.

Der Streitpunkt: Die Zeugen Jehovas wollen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) sein, das heißt eine vom Staat anerkannte und auch materiell geschützte Religionsgemeinschaft und nicht wie bisher nur ein Verein, dessen Räume bei „Katastrophenfällen jederzeit beschlagnahmt werden können“. Einen entsprechenden Antrag aber hatte die Kulturverwaltung im April abgelehnt. Ihre Begründung: Die Bibelforscher hätten ein negatives Grundverständnis zum Staat, dieser sei für sie – so Anwalt Michael Schwarz – „ein Herrschaftsinstrument des Satans“. Die Bibelforscher würden alle öffentlichen Pflichten, wie zum Beispiel das aktive und passive Wahlrecht, ablehnen, ein Verhalten, das nicht den „verfassungsrechtlichen Normen“ entspreche und „radikal gegen das Demokratiegebot stehe“. Sie würden sich gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften intolerant verhalten und, so der Anwalt wörtlich, „sogar den Leistungssport ablehnen“.

Diese Behauptungen überzeugten den Vorsitzenden Richter Reinhart Neumann nicht. Die Zeugen Jehovas haben einen Anspruch auf die Anerkennung als KdöR, entschied er. Sowohl die Zahl ihrer Mitglieder, die Gemeindeverfassung als auch die Kontinuität ihres Wirkens (in Deutschland seit 1897) zeigten, daß sie auf „Dauer“ angelegt sei. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine KdöR lägen demnach vor. Die Zeugen Jehovas könnten nur dann nicht als KdöR anerkannt werden, wenn ihre Aktivitäten im „außerkirchlichen Bereich“ sich „aktiv gegen den Staat“ richten oder ihre Handlungen „gesetzteswidrig“ seien. „Dafür fehlen aber alle Anhaltspunkte“, schreibt der Richter in seiner Urteilsbegründung. Auf Nachfrage der taz bei der Kulturverwaltung erklärte gestern ein Sprecher, „daß der Senat es mit Sicherheit nicht bei dieser Entscheidung belassen will“, also in Berufung gehen wird.

Obwohl also die Zeugen Jehovas jetzt vor Gericht recht bekommen haben, unterlagen sie mit ihrer eigentlichen Hauptklage. Und diese Tatsache interessiert nicht nur die Bibelforscher, sondern auch die israelische Synagogengemeinde Adass Jisroel, deren Klage auf Anerkennung einer KdöR ebenfalls demnächst vor dem Verwaltungsgericht verhandelt wird. Sowohl Adass Jisroel als auch die Bibelforscher argumentieren nämlich, daß sie schon längst eine KdöR seien und der Senat dies nur zu bestätigen habe. Denn beiden Glaubensgemeinschaften erteilte die letzte DDR-Regierung unter Lothar de Maizière in einem Akt der „Wiedergutmachung“ die „staatliche Anerkennung“ und damit den Status einer KdöR. Mit dem Einigungsvertrag seien die Rechte der Relgionsgemeinschaften übernommen worden.

Diese Anerkennungsklage der Zeugen Jehovas lehnte das Gericht ab. Weil es in der DDR die Rechtsform einer KdöR überhaupt nicht gegeben habe, können auch „keine weiterbestehenden Körperschaftsrechte verliehen werden“, argumentierte der Richter. Eine Begründung, die zumindestens der Anwalt von Adass Jisroel nicht akzeptieren wird. Er bereitet sich auf sein Anerkennungsverfahren mit Tonnen von juristischen Gutachten vor. Anita Kugler