Aufgehaltene fortgesetzte Suche

■ Der norwegische Maler Olav Christopher Jenssen in der daad-galerie Berlin und der Neuen Galerie in Kassel

Kennen Sie das? Ein wildfremder Mensch lächelt Sie auf der Straße an, und Sie – aufs höchste erfreut – lächeln natürlich zurück. Aber plötzlich verschwindet das Lächeln Ihres Gegenübers, er schaut ganz ernst, nicht etwa böse, nein – eher etwas melancholisch. Und Sie sind ganz verdattert.

So ähnlich geht es einem mit den Bildern Olav Christopher Jenssens. Was auf der Ausstellung mit neuen und neuesten Bildern des Norwegers Jenssen in der Berliner daad-galerie zu sehen ist, erscheint auf den ersten Blick beinahe putzig. Nicht nur wegen der kleinen Formate der Ölbilder, von denen die meisten kaum mehr als 30x40 Zentimeter messen, sondern auch wegen ihrer verhuschten Liebenswürdigkeit, der jegliche Aggressivität fehlt. Ein Zug, der den Ernst der Sache erst nach und nach klar macht. Geht es doch um nichts Geringeres als eine Erneuerung der Abstraktion aus dem Geiste der – richtig postmodern gesprochen – Differenz. Und das auch noch so ganz nebenbei.

Was ist auf Jenssens Bildern zu sehen? Nähern wir uns über die schlüpfrige Freitreppe der Assoziation: ein Schienengelände, wie man es selbst als Kind zu zeichnen versuchte, immer im Kreis. Oder ist es eher eine Art Endlosreißverschluß? Konzentrische Kreise jedenfalls auf dunkelbraunem Grund, mit einem ausgesparten Oval in der Mitte. Jede Kreislinie von kurzen Querstrichen signiert, die mitunter abbrechen, dann wieder aufgenommen werden: „Rigoletto“ aus dem Jahre 1993.

Oder die „Primadonna“ (1993), eine grazile Figur in der oberen Hälfte der Bildfläche sitzend, zwischen Insekt und Pflanzengespinst, sich beugende Gestalt oder tänzelndes Netzwerk aus Blau, Grau und Weiß, mit halbkugeligen Verdickungen an einem Ende. Das Ganze über einer verwischten Grundierung schwebend, grau- aschiger Ton mit einem gelblichen Schimmer.

Diese Bilder wirken wie eine flüchtige, eher zufällig zustandegekommene Elementarlehre, deren Bestandteile Jenssen unter den versteinerten Schichten der Tradition ausgräbt und von ihnen befreit. Treibgut der Abstraktion, angespült an den Strand der lückenhaften Erinnerung eines Malers. Indessen hantiert dieser vollkommen unbekümmert mit den Bruchstücken (nicht umsonst heißt ein Bilder-Zyklus Olav Christopher Jenssens „Lack of memory“).

Manchmal die volle Bildfläche ausnutzend, sie mit federnden Schraffuren und Gittern ausmalend („Trampolin“), dann wieder sich auf eine – im bildlichen Sinne des Wortes – lakonische Punktierung bzw. Linierung zurückziehend („Gladiole“), stets bleibt Jenssens Bearbeitung von Leinwand oder Papier auf knapp gesetzte Bildelemente oder auf wenige formale Strukturen beschränkt.

Man fragt sich allerdings, woher Jenssen diese stupende Sicherheit in der Plazierung seiner Minimalismen nimmt; fühlt sich an Beuys erinnert, gelegentlich an Twombly oder Bissier. Mit seinem Hang zum oberen Bildrand, von dem die Figuren in die leere Fläche hinunterzupendeln scheinen, unterstützt Jenssen den Eindruck eines Schwebezustandes auf seinen Bildern ebenso wie durch die oft diffusen Lichtverhältnisse.

Mehr noch als den Ölbildern ist den, parallel zur DAAD-Ausstellung bei Bruno Brunnet gezeigten Zeichnungen, anzusehen, daß sie ohne großes Zögern und Innehalten aufs Blatt geworfen werden. Eine rasche Raffinesse, deren haptische und visuelle Ausstrahlung Jenssen steigert, indem er das Papier mit einer dünnen Wachsschicht überzieht und ihnen dadurch Transparenz verleiht.

Auf der documenta9 teilte sich der Norweger, der seit 1982 in Berlin lebt, einen Raum mit Brice Marden, Jonathan Lasker und Lawrence Carroll. Dort wurde zum ersten Mal ein breiteres Publikum auf ihn aufmerksam, obwohl die zurückgenommene, fast dekorative Wirkung seiner Bilder solch genaues Hinsehen nicht hätte erwarten lassen. Das Arrangement in diesem Seitenkabinett war eher für ein eiliges Augenwischen geeignet. Vielleicht korrigiert die Präsentation mit Großformaten Jenssens, die derzeit in der Neuen Galerie in Kassel zu sehen ist, diesen Eindruck.

In Berlin jedenfalls erlebt man einen Versuch, aus der reduktionistischen Sackgasse der Abstraktion herauszukommen, aus jenem nicht mehr zu erweiternden Bildraum, den Kasimir Malewitsch und Mark Rothko, Ad Rheinhardt und Barnett Newman leer hinterlassen haben, als sie die Tür hinter sich schlossen.

Jenssens heteromorphe Gestik löst sich von jener geradezu monotheistischen Prämisse des autonomen Werkes, ohne sich deshalb am Zweck zu orientieren, was in der Malerei immer heißt: an der Repräsentation, an der Mimesis. Das gelingt nicht immer, hat mitunter etwas Vorläufiges, so wie die Titel, die Jenssen nur mit Bleistift direkt auf die weiße Tapete kritzelte – ein Provisorium, das sich als passend erwies. Aufgehaltene, fortgesetzte Suche als sichtbar gemachte Geste, ebenso flüchtig wie bestimmt. Thomas Fechner-Smarsly

Olav Christopher Jenssen in der daad-galerie, Berlin, bis zum 31.Oktober. Neue Städtische Galerie, Kassel, bis zum 14.November. Einheitlicher Katalog für beide Ausstellungen: 30DM.

Zeichnungen: Galerie Bruno Brunnet, Berlin, Wilmersdorfer Straße, bis zum 31.Oktober.