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Schlappe in Kanada: Von 155 auf 2 Sitze

Die regierende Konservative Partei verlor haushoch die Parlamentswahlen / Wahlsieger sind die Liberalen, die größte Oppositionspartei die Sezessionisten aus Quebec  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Eines mußte man ihr lassen: Im Angesicht der Wahlniederlage bewies Kim Campbell Haltung. „Bin ich froh, daß ich mein Auto noch nicht verkauft habe“, erklärte die Noch-Premierministerin Montag nacht in ihrem Wahlkampf-Hauptquartier in Vancouver. Daß sie ihren Posten als Premierministerin und damit auch das Anrecht auf einen Dienstwagen verlieren würde, hatten ihr die Demoskopen vorausgesagt. Doch kaum jemand hatte geahnt, daß Kanadas WählerInnen Campbells „Progressive Conservative Party“ (PC), seit neun Jahren in Kanada an der Macht, faktisch aus der politischen Landschaft fegen würden.

Von den bislang 155 konservativen Abgeordneten im kanadischen „House of Commons“, einer von zwei nach britischem Vorbild gebildeten Kammern, werden nach diesem Wahltag nur zwei (!) ins Parlament zurückkehren. Die PC, neben der „Liberal Party“ eine der zwei großen Parteien in Kanada, kann somit in der neuen Legislaturperiode noch nicht einmal Fraktionsstatus in Anspruch nehmen. Dafür wären mindestens zwölf Sitze notwendig. Ein ähnliches Schicksal erlitt auch die bislang drittstärkste Partei der „New Democrats“ unter Audrey McLaughlin, deren Polster von 43 Parlamentssitzen auf voraussichtlich acht Sitze zusammenschmolz.

Über die genauen Ursachen dieses Niedergangs wird man sich innerhalb der PC in den nächsten Wochen und Monaten den Kopf zerbrechen. Am Montag beließ es Campbell dabei, ihrem Kontrahenten und neuen Premierminister Jean Chrétien von der „Liberal Party“ zu gratulieren und ihren eigenen Anhängern Licht am Ende des Tunnels vorauszusagen. „Auch für uns wird die Sonne wieder scheinen“, erklärte die 56jährige Juristin, die auch in ihrem eigenen Wahlkreis in Vancouver verlor.

Während in Vancouver einige Tränen kullerten, floß in Shawinigan, dem Geburtsort Chrétiens in Quebec, der Sekt. Zu Beginn des Wahlkampfs hatte man dem 59jährigen, der vor dreißig Jahren zum ersten Mal ins Parlament gewählt wurde, nicht zugetraut, daß er repräsentieren könnte, was sich die kanadischen WählerInnen unter einem „neuen, innovativen“ Politiker vorstellen. Doch Chrétien und seine Liberalen errangen nicht nur den Wahlsieg, sondern auch eine komfortable Regierungsmehrheit von 177 der insgesamt 295 Sitze im „House of Commons. Damit bleiben den Liberalen, die ähnlich den Demokraten in den USA den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs gestellt hatten, zähe Koalitions-und Duldungsverhandlungen mit den Oppositionsreihen erspart.

Vorhersehbar war der Erfolg des sezessionistischen „Bloc Quebecois“ unter dem ehemaligen Umwelt- und Außenminister Lucien Bouchard. Der „Bloc“ war nur in der französischsprachigen Provinz Quebec angetreten, konnte dort aber 53 der 75 Wahlmandate gewinnen – und wird nun voraussichtlich im Parlament die zweitstärkste Fraktion und damit die „offizielle“ Oppositionspartei stellen.

In einigen anglophonen Provinzen war WählerInnen und PolitikerInnen der Schreck über dieses Resultat anzusehen. Denn die Mehrheit der Quebecer hat nun, da in ihrer Provinz zum ersten Mal eine separatistische Partei auch bei den Bundeswahlen kandidierte, für Bouchard und damit für die Loslösung aus dem föderalen System Kanadas gestimmt. Der 55jährige Spitzenkandidat des „Bloc“ bemühte sich Montag abend zwar, Bedenken und Ängste bei den anglophonen Nachbarn zu zerstreuen, wonach die unmittelbare Abkoppelung Quebecs bevorstehe. Doch an seinem politischen Ziel, der staatlichen Souveränität seiner Provinz, ließ er keinen Zweifel.

Doch mit Bouchard sind gleichzeitig seine erklärten politischen Gegner ins Parlament eingezogen: Die vor allem im anglophonen Westen Kanadas populäre „Reform Party“ unter Preston Manning wird voraussichtlich 52 Sitze im Parlament belegen. Manning steht für Rechtspopulismus gegen Sozialprogramme und das politische Establishment, gegen Einwanderer- und Frauenrechte, vor allem aber gegen jede besondere Berücksichtigung der Provinz Quebec. Damit werden die extremsten Antagonisten in der kanadischen Politik in Zukunft im Parlament aufeinanderprallen. Die Frage wird sein, ob diese Debatten das politische Klima in Kanada nicht noch zusätzlich anheizen werden.

Beim großen Nachbarn USA nimmt man von den potentiellen innenpolitischen Konsequenzen kaum Kenntnis. Sezessions- und Unabhängigkeitsbestrebungen verortet man dieser Tage immer noch auf der anderen Seite des Atlantik. In Washington registriert man vielmehr mit Besorgnis, daß Jean Chrétien im Wahlkampf versprochen hat, das „Nafta“-Abkommen, das eine Freihandelszone zwischen Mexiko, den USA und Kanada schaffen soll, neu zu verhandeln. Chrétien will mehr Garantien für kanadische Exporteure verankert sehen. US-Präsident Clinton hingegen, der bereits Mühe hat, das Abkommen im Kongreß ratifizieren zu lassen, möchte neuerliche Komplikationen beim Thema „Nafta“ unter allen Umständen vermeiden. Trotzdem gab man sich gestern im Weißen Haus hinsichtlich der künftigen US-kanadischen Beziehungen optimistisch.

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