Raketenzünder in der Privatvilla

Im Prozeß wegen illegaler Waffenlieferungen an den Irak haben zwei Angeklagte Geständnisse abgelegt, der Firmenchef von Rhein-Bayern aber leugnet weiterhin hartnäckig  ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann

Die irakische Fahne, die immer vor dem Firmengebäude in Kaufbeuren wehte, wenn aus Saddams Reich die Einkäufer kamen, ist eingeholt. Von einem Verwalter wird die Fahrzeugbaufirma Rhein- Bayern weiterbetrieben. Ob sie überleben wird, ist fraglich. Firmenchef Anton Eyerle, früher aktiver NPD-Mann und Jagdflieger im Dritten Reich, sitzt seit 14. Februar 1992 in Untersuchungshaft und steht seit Ende August in Augsburg vor Gericht. Er ist angeklagt wegen illegaler Waffengeschäfte mit dem Irak, auch noch nach Verhängung des UN-Embargos im August 1990. Der 70jährige Firmenchef bestreitet als einziger weiter jede Schuld. Seine beiden Ko-Geschäftsführer, Walter Dittel (67) und der indische Exportchef Subramaniam Venkataramanan (genannt Venkat, 44), haben inzwischen umfassende Geständnisse abgelegt, der Inder erst vergangene Woche.

Zuvor hatten zahlreiche Zeugen die Angeklagten schwer belastet. Walter Dittel, der Geschäftsführer der Landsberger Tochterfirma, hatte schon am ersten Verhandlungstag überraschend gestanden und war zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Demnächst wird er als Zeuge im Prozeß gegen Anton Eyerle wieder im Gerichtssaal 101 auftreten. Andere Zeugen, wie beispielsweise der Zollbeamte, der die großangelegten Hausdurchsuchungen und Ermittlungen gegen Rhein-Bayern geleitet hat, bestätigten die schweren Vorwürfe aus der Anklageschrift. Stundenlang wurden Zünder und Raketenteile, Geschützrohre und andere „heiße Waren“ aufgelistet, die Saddam Hussein den Einsatz der berüchtigten Scud-B-Raketen und der Styx- Schiffsraketen im Golfkrieg ermöglichten. Anton Eyerle, der alte Mann, der konsequent mit einer Rhein-Bayern-Stofftragetasche im Gerichtssaal erscheint, bestreitet noch immer hartnäckig alle Vorwürfe. Seine gelegentlichen Gefühlsausbrüche steigern sich mitunter zu Tobsuchtsanfällen. Gelegentlich übergeht er seine drei Anwälte und übernimmt selbst im militärischen Befehlston die Zeugenbefragung. Beim Geständnis seines Exportchefs allerdings bleibt er überraschend gelassen, läßt seine Anwälte erklären, der 44jährige Inder würde nur Lügen erzählen, um aus der Haft entlassen zu werden.

Doch Venkats überraschende Information, daß Anton Eyerle in seiner Privatvilla am Forggensee lieferfertige Teile für Raketenzünder gelagert habe, überrascht sogar die Staatsanwaltschaft, die am 14. Februar 1992 das Firmengelände in Kaufbeuren stürmte und lastwagenweise Belastungsmaterial beschlagnahmte. Das 13seitige Geständnis gewinnt dadurch an Glaubwürdigkeit und veranlaßt die Staatsanwaltschaft zu einer weiteren Hausdurchsuchung während des laufenden Verfahrens. Er habe nur wegen seiner Familie weiter mitgemacht, nachdem ihm klar wurde, was bei Rhein- Bayern produziert wird, sagt der Inder vor Gericht. Im Falle einer Kündigung hätte er nämlich seine Aufenthaltserlaubnis verloren. Die ist ihm inzwischen offenbar nicht mehr wichtig. Seine Familie ist zurückgekehrt nach Indien, und Venkat hofft ebenfalls darauf, in die Heimat abgeschoben zu werden. Nach Möglichkeit noch dieses Jahr.

Obgleich noch kein Ende des Verfahrens abzusehen ist – allein für den auf das Geständnis folgenden Prozeßtag wurden zehn zusätzliche Zeugen geladen –, stehen die Aktien für den Hauptangeklagten Eyerle schlecht. Zulieferer, Ex-Mitarbeiter und UNO-Inspektoren haben ihn schwer belastet. So sagte unter anderem der Waffenexperte Norbert Reinecke, Mitglied der UNO-Sonderkommission im Irak, vor Gericht aus, daß der Bundesregierung Beweise vorlägen, wonach in abschußbereiten Raketen im Irak Druckschalter mit deutscher Aufschrift endeckt wurden. Genau solche Druckschalter wurden laut Anklage von Rhein-Bayern gefertigt und geliefert. Der gesamte Lieferumfang wird von der Staatsanwaltschaft und der Zollfahndung auf 29.666.000 Mark beziffert.

Immer wieder geht es in diesem Prozeß um die Frage, wieviel wußte der Chef. Und dazu warten die unterschiedlichsten Zeugen mit den unterschiedlichsten Aussagen auf, die auch mit sehr unterschiedlichen Mißfallensäußerungen oder zustimmenden Kommentaren des Hauptangeklagten begleitet werden. „Sie sind ein großer Lügner“, schreit Eyerle einen seiner Zulieferer an. Dieser berichtet von einem gemeinsamem Rückflug aus dem Irak, bei dem Exportleiter Venkat eine Raketenspitze im Gepäck gehabt habe, die später auf dem Tisch von Anton Eyerle stand. Dem Staatsanwalt wiederum wirft Anton Eyerle vor: „Sie haben mein Lebenswerk zerstört.“ Kaum vorstellbar in solchen Situationen, daß dieser Mann, der ganz wenig Besuch bekommt in seiner Zelle, stundenlang im Gefängnis banale Gedichte verfaßt, Küchenprosa, die er einem Allgäuer Verlag zur Veröffentlichung schickt. Ebensowenig vorstellbar, daß dieser Anton Eyerle jahrelang ungehindert seinen Kunden aus dem Irak aus einem alten, umgebauten Volksempfänger Hitler- Reden vorspielen konnte. Der irakischen Führungsspitze hat dieser alte Mann allerdings schwer imponiert. Bei seinen Geschäftsreisen nach Bagdad mußte Eyerle laut der Illustrierten Stern (14.7.88) nie das sonst übliche Visum vorlegen.

Kein Wunder, findet doch für den alten Nazi der Kampf für das Vaterland in der Golfregion statt. Die ganze Dimension läßt sich spätestens beim Verhör jenes bereits zitierten UNO-Kommissars erahnen, der darlegt, welch „höchst dramatische Bedrohung für Israel“ von den irakischen Raketen ausgegangen ist, an deren Herstellung angeblich der Angeklagte Anton Eyerle mitgewirkt hat. Richter Hartmut Klotz jedenfalls wirkt leicht genervt, als er nach dem 17. Verhandlungstag die Anhörung zusätzlicher Zeugen ankündigt, die auf Antrag von Eyerles Anwälten die Glaubwürdigkeit des Exportchefs Venkat erschüttern sollen. Ein drittes Geständnis wäre ihm sichtbar lieber als serienweise weitere Verhandlungstage. Längst wartet auf den Vorsitzenden der 1.Strafkammer der nächste Berg Akten des nächsten großen Prozesses gegen den Sterbehelfer Atrott.