"Nützlich und brauchbar"

■ Rudolf Müller, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Adam Opel AG, zum Vorschlag einer Viertagewoche

taz: Opel liebäugelt, wie auch der VW-Konzern, mit der Einführung einer Viertagewoche, um Arbeitsplätze zu sichern. Bisher haben die Arbeitgeber immer ausgeschlossen, daß Arbeitszeitverkürzungen einen Effekt auf die Beschäftigung auslösen. Woher dieser plötzliche Sinneswandel?

Rudolf Müller: Man steht bei dieser Überlegung vor der Alternative, entweder Arbeitsplätze für mehrere tausend Arbeitnehmer aufzukündigen oder die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen. Insofern ist das ein Modell, über das nachgedacht werden muß: Die Arbeit auf alle zu verteilen, wenn der Zuwachsraum in der Automobilindustrie nur noch begrenzt vorhanden ist, die alten Margen nicht mehr erreicht werden.

Familien mit Kindern werden es schwerhaben, mit rund 20 Prozent weniger Lohn ihr Leben zu finanzieren. Profitieren von der Viertagewoche nicht diejenigen, deren Lebenspartner so gut verdient, daß 20 Prozent weniger am Lebensstil nicht viel ändern?

Man muß natürlich sehen: Wie wird die Viertagewoche gefahren, wie groß sind die Möglichkeiten eines Lohnausgleichs, wie groß sind die Belastungen, die entstehen. Die Viertagewoche bedeutet natürlich auch Einkommensverlust, daher darf man nicht außer acht lassen, daß die Viertagewoche für eine Reihe von Beschäftigten nur schwer zu vertreten ist. Aber wenn man vor die Alternative gestellt wird, daß die, die dann weniger hätten, arbeitslos wären ... dann, meine ich, ist sie das bessere Modell.

Begreifen Sie die Viertagewoche als Wahl des kleineren Übels oder als Flucht in die Defensive?

Weder noch. Das ist eine Möglichkeit, Beschäftigung für einen größeren Kreis zu sichern, zu stabilisieren.

Nach marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten folgt jeder Baisse eine Hausse. Wäre die Viertagewoche dann nicht obsolet?

Das ist die allgemeine These, aber die Zuwachsraten, wie wir sie in den letzten drei Jahren hatten, sind nicht mehr so, wie sie einmal waren. Da stellt sich die Frage, daß man bei verlangsamten Wachstumsraten Beschäftigung stabilisieren muß. Die Hoffnung, die wir mal in der Automobilindustrie gehegt hatten – daß sich die östlichen Staaten schneller an unseren Wirtschaftskreislauf anschließen –, hat sich zerschlagen. Deshalb ist das Instrument, die Arbeitszeit für alle zu verkürzen, sehr nützlich und sehr brauchbar.

Wie ist die Stimmung in Ihrem Betrieb?

Bei uns sind Mitte des Jahres eine ganze Reihe von Betriebsvereinbarungen gekündigt worden, wie innerbetriebliches Lohnsystem, Weihnachtsgeld und Ausgleichszahlungen für Kurzarbeit. Bei uns im Rüsselsheimer Werk ist die Stimmung aufgrund langanhaltender Kurzarbeit gedrückt. Bis Jahresende werden wir in Rüsselsheim 60 Kurzarbeitstage gefahren haben, das heißt, das Werk Rüsselsheim allein hat ein Vierteljahr stillgestanden. Das löst natürlich Ängste aus in der Arbeitnehmerschaft: Wie geht es weiter?

Und die Idee von der Viertagewoche verdrängt diese Ängste?

Die Frage ist zu koppeln mit der Frage des Einkommens. Man muß eine vernünftige Regelung zwischen der Kürzung der Arbeitszeit und der Kürzung des Einkommens finden. Man muß also teilen.

Die Viertagewoche setzt eines voraus: Die Einsicht, daß jeder sich mit weniger Lohn für weniger Arbeit zufriedengibt. Ist das nicht naiv gedacht?

Wenn man nur die Headlines liest, und da steht nicht mehr fünf Tage, sondern vier, was 20 Prozent weniger Lohn bedeutet, dann wird das natürlich schon happig, damit über die Runden zu kommen. Die Viertagewoche ist aber ein Instrument, um Beschäftigungskrisen auf allen Schultern zu verteilen. Ein vorübergehendes Instrument muß sie bleiben, weil die Kosten sich ja auf vier Tage konzentrieren: Die Fabrikhallen stehen dann ja einen zusätzlichen Tag leer.

Das Interview führte

Thorsten Schmitz