Grottenschlecht, aber lehrreich

■ „Die Serpentintänzerin“ von Helmut Herbst über die Kindertage des Kinos

Als man noch „der“ Kino sagte und die Mehrzahl von Film noch Films hieß, zogen die Filmpioniere mit ihren das Publikum verblüffenden Wundermaschinen über Land. Diese Kindertage des neuen Mediums möchte Die Serpentintänzerin von Helmut Herbst thematisieren. 1905 zieht Dr. Giovanni mit seinem Abnormitätenkabinett und seiner Companie durch Ungarn und trifft den jungen Filmpionier Viktor, der mit dem Kinematographen umzugehen weiß und sich in Giovannis Geliebte Olga verliebt, die taubstumme Serpentintänzerin, die ihr weites Kleid herumwirbelt.

Die Welten des alten und des jungen Unterhaltungskünstlers prallen aufeinander. Soweit die Geschichte, die einiges hergibt an Leidenschaft, Kinogeschichte und Spielen um das Filmen-im-Film. Dazu kommt eine Starbesetzung mit Karina Fallenstein, Eva Mattes, Wolf-Dietrich Sprenger, Otto Sander und Ben Becker. Zehn Jahre dauerte die Entwicklung des Drehbuchs, und nach Lübeck und Breslau, wurde letzthin Ungarn als Drehort erkoren.

Herbst, der Professor für Film an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach ist, bekam auch einige Filmförderungen, und heraus kam ein so schlechter Film, der schon wieder ein Lehrstück ist, an dem sich Filmstudenten die Zähne ausbeißen können, um herauszufinden, was hier eigentlich nicht funktioniert. Theatralisch flach wirken die Szenen, ob sie nun Czardas-Folklore und Jahrmarktleben, hartes Schaustellerdasein oder Sexuelles darstellen wollen. Die großen Schauspieler bleiben seltsam blutarm in ihren Rollen, so daß es scheint, als hätte der Regisseur sein berühmtes Personal nicht in den Griff bekommen hätte. Jammernde Geigen begleiten die Serpentintänzerin (Karina Fallenstein), die „lebende Blüte des Jugendstils“ wie es lyrisch im Presseheft heißt.

Jammern aber möchte man bei Dialogen wie dem zwischen Giovanni (Wolf-Dietrich Sprenger) und seinem Mäzen Baron Bernstock. Bernstock will in die neue Technik investieren, aber Giovanni wendet ein: „Das ist nur eine Maschine, die riecht nur nach Öl und heißem Blech.“ Und pathetisch erwidert der Baron: „Es ist der Geruch des 20. Jahrhunderts.“ Wow!

Die Idee zur Serpentintänzerin kam Helmut Herbst 1979 bei Recherchen zu einem Bildungsfilm über einen Stummfilmpionier. Also erfährt man etwas über alte Aufnahmetechniken und darüber, daß die Lukrativität von Erotik-Filmchen zum Fortschritt beitrugen. Ja, man möchte ins Grübeln geraten über das Medium, das das Zusehen-und-nicht-gesehn-werden endlich ungehemmt erlaubte. Einmal sagt Giovanni: „Wer ein richtiges Geschäft machen will, muß einen Sinn für Realität haben“, — zumindest aber Phantasie, um Fiktionen zum Leben erwecken zu können. Die Bilder lernen eben noch immer das Laufen — und deutsche Regisseure das Filmemachen, vielleicht auch an so vergeigten Exempeln wie der Serpentintänzerin. Julia Kossman

Premiere: 21.15 Uhr, Metropolis, als Vorfilme werden historische Stummfilme gezeigt