Schnipp, schnipp, schnapp

■ Catherine von Sentivan ist die Scherenschneiderin vom Historischen Markt

„O du Prinzesschen! Was hast du für eine schöne Nase. Und so rote Backen.“ — Wohl rundet sich das „R“ in dieser Schmeichelrede und verrät, zusammen mit den dunklen Augen der Sprecherin und einem gewissen Etwas den ungarischen Ursprung von Frau Catherine von Sentivan. Mit flinker, dünner Nagelschere schneidet sie traumwandlerisch sicher einen Scherenschnitt vom Kopf des kleinen Mädchens, das still und stumm vor ihr steht, umringt von vielen Schaulustigen, auf dem Historischen Markt in der Bremer Innenstadt.

„Natürlich bin ich auch Entertainerin und Animateuse,“ lächelt die schöne, ältere Frau und schnipp, schnipp, schnapp ist das schwarze Bildchen in knapp zwei Minuten fertig, samt einer Schleife im Mädchenzopf, die dort gar nicht sitzt. „Sehr ähnlich, erstaunlich,“ murmelt es ringsum. Jetzt wird das Konterfei angeleckt, auf ein Papier geklebt und kostet in dieser mittleren Größe acht Mark, mit Signatur neun.

Seit fünf Jahren kommt Frau von Sentivan zu Freimarktszeiten und zum Weihnachtsmarkt von Köln her nach Bremen, stellt ihre Staffelei mit klassischen Scherenschnittbeispielen auf, setzt einen Stuhl daneben und hängt ein Täschchen mit den wenigen Utensilien daran. Schnipp, schnipp, schnapp — Frau von Sentivan fertigt Scherenschnitte aus dem Handgelenk. Kaum drei Blicke wirft sie dabei aufs Papier: „Es ist eine Gabe“, sagt sie mit der Bescheidenheit einer Auserwählten. „Ich habe sie von meinem Großvater geerbt, den ich niemals gesehen habe. Mein Vater und meine Tochter wollten das Scherenschneiden von mir lernen. Unmöglich!“

Angetan mit Trachtenkleid und kariertem Tuch, eine Erdbeerbrosche im Haar — „meine Verkleidung“ — erzählt sie von ihrer Familie, Donaudeutschen, die nach dem Krieg in ein Umsiedlungslager kamen. Mit neun Jahren entdeckte sie ihr Können und schnitt mit Vorliebe Märchenmotive. Mit dreizehn dann mittelalterliche Prinzen, und mit vierzehn waren Familie und Nachbarn an der Reihe.

Geld hat sie mit den Scherenschnitten nicht verdient, aber Bewunderung. Wie jetzt auf dem Historischen Markt, wo die Menschen Schlange stehen: eine lockige Frau, eine andere im Pelzkragen und sogar der Schnuller eines kleinen dicken Babys wird fein und leicht herausgeschnitten.

Einmal meckert eine Frau über das Kinn ihrer Freundin. „Sie sind ja nur neidisch“, sagt Frau von Sentivan schelmisch zur Kritikasterin, „weil es so schön geworden ist. Glauben sie mir, ich habe den richtigen Blick.“ Ein Mann hält seine linke Gesichtshälfte hin. „Andersrum“, heißt es, „ich bin Rechtshänderin.“ — Schnipp, schnipp, schnapp, ein unnachahmliches Kinderspiel. Noch bis Sonntag zu bewundern. Dann fährt Frau von Sentivan nach Haus zurück — um ihr Medizinstudium fortzusetzen. Schnipp. Schnapp.

Cornelia Kurth