Betr.: "Anarchie in Haiti", taz vom 18.3.93

Schau an, schau an, wieder einmal ist in der bürgerlichen Medienlandschaft die Anarchie ausgebrochen. Die Herrschaftslosigkeit aber ist in diesen Gefilden nicht befreiende Wohltat von den Qualen jeglicher Unterdrückung, sondern: Chaos. Denn nur dieses Schreckgespenst von um sich schießenden Schwachköpfen, denen ihr letztes Quentchen Vernunft mit dem letztgültigen Gesetzestext abhanden kommt, läßt die Anarchie auf den Titelseiten sprießen.

Und wenn's bei der Berichterstattung solcher Umtriebe dann etwas paradox zugeht, so zeugt das vermutlich nur von der Verwirrung klischeegerecht schwarzummäntelter Bombenleger, Anarchisten genannt. Wie sonst sollen wir es verstehen, wenn „ein paramilitärisches Kommando selbsternannter Herrscher den Staat in eine anarchieähnliche Situation“ stürzt?

Absturz und Chaos in der redaktionellen Begriffswelt haben die positive Bedeutung des Anarchismus und seine Einflüsse auf soziale Bewegungen und bewegende Kunst unserer Zeit schnell verschüttet. Dieser Brief ist also als Bergungsversuch gedacht. Anarchie ist Freiheit! Emma Goldman Fanclub