Unterm Strich

We GATT the Blues. Wie Sie aus dieser linksalternativen tageszeitung schon viel tausendmal erfahren haben, sind die Franzosen total klasse, nachgerade bonfortionös in Sachen Schutz nationaler Filmkultur, während die Deutschen mal wieder kuschen und huschen: In einer ZDF-Sendung gab unlängst Wirtschaftsminister Rexrodt kund und zu wissen, daß er gegen jegliche Form von Schutzzöllen sei. Na prima, Mann. Statt dessen erklärte man sich gnädig bereit, eine Klausel zur Berücksichtigung „kultureller Besonderheiten“ für den audiovisuellen Sektor zu fordern. Ein „Kompromiß“ zeichne sich ab: Wenn die europäischen Fernsehrichtlinien nicht weiter ausgebaut würden (wenn also nicht mehr Quoten für europäischen Film eingeführt würden), dann könnten die Amerikaner gnädig auf die Forderung nach Ausklammerung der Filmförderung verzichten. Dumm nur, daß beides zusammengehört: Die geförderten Filme sind ohne Quoten für das Fernsehen kaum attraktiv, weil sie meist teurer sind als amerikanische Billigserien, ha, ha.

Bei der Durchsicht des nach zähen Verhandlungen endlich in Berlin gelandeten Nachlasses der Marlene Dietrich stieß die Stiftung Deutsche Kinemathek unter 500 Briefen Erich Maria Remarques auf ein Originalmanuskript von Joseph Roth. Es handelt sich um die Erzählung „Stationschef Fallmerayer“. Roth hatte es im August 1935 auf Briefbögen des Pariser Hotels Foyot geschrieben. Das Manuskript enthält nicht nur den vollständigen Text, sondern auch die Passagen, die Roth dann später gestrichen hat.

An dieser Stelle bleibt außerdem etwas zerknirscht anzumerken, daß die Filmredaktion dieser linksalternativen tageszeitung etwas vorwitzig über die Ankündigungen zum Marlene-Nachlaß hergefallen war. Die Tickermeldungen zur Sache waren aber auch zu und zu doof. Ewig war von der Negerpuppe die Rede gewesen, und eben nie von irgendwelchen Briefen, und da ist uns dann ein bißchen die Hutschnur geplatzt oder wie man in diesen Fällen zu sagen pflegt. In postcholerischer Verve hatten wir dann flux abgebügelt, daß es sich bei der Erwerbung des Nachlasses von der Marlene-Tochter Maria Riva um eine ziemlich fulminante Errungenschaft für diese an solchen Dingen nicht besonders reiche Stadt handelt. Erstens hätte die Riva ihre Erbschaft auch für Mil

lionen an Sotheby's verscherbeln können. Zweitens handelt es sich um First-class-Dokumente der Exilliteratur. Weitere Fundstücke wie das Roth-Manuskript sind sicherlich zu erwarten. Die ersten Forscher aus Übersee stehen auf der Matte. Einigermaßen beschämt krauchen wir unter den Schreibtisch und wackeln reumütig mit den Zehen.

Die Stiftung Deutsche Kinemathek veranstaltet Mitte November im Berliner Kino Arsenal ein Filmseminar unter dem Titel „Last exit Oberhausen“. Peter Nau, ein alter Kämpe aus den Tagen der Zeitschrift „Filmkritik“ (R.I.P.), hat das Programm aus Kurz- und Autorenfilmen der späten fünfziger und frügen sechziger Jahre zusammengestellt. (Filme von Peter und Ulrich Schamoni, Hans-Rolf Strobel/ Heinrich Tichawsky, Roger Fritz, Roland Klick, Johannes Schaaf, May Spils u.a.) Nau wird auch das Seminar moderieren.

Kann sich noch jemand an die sogenannten „Verständigungstexte“ erinnern, die Ende der Siebziger die deutsche Literatur heimsuchten. Die Verständigungswut, die damals, angesichts der bleiernen Zeiten in der Politik, ganz und gar im Privaten tobte, macht sich nun, nach der Wiedervereinigung, zunehmend im Politischen breit – zum Beispiel in Form von „Deutsch-deutschen Dialogen als Beitrag zum Verständigungsprozess“. Solcherlei bietet demnächst die Kasseler Hochschulwoche unter der Überschrift „Die Zukunft der Vergangenheit“. Womöglich wird die Sache aber doch nicht so schrecklich, wie man danach erwarten müßte: Auf dem Podium, das die Chose am Montag, den 1. November eröffnen soll, befinden sich nämlich unter anderen die beiden derzeit besten Polemiker unserer mit Vertretern dieses Genres nicht gerade üppig bedachten Öffentlichkeit – der Ostberliner Friedrich Dieckmann, Deutschlands letzter Bildungsbürger, und Cora Stephan, die man hier ja wohl nicht weiter vorstellen muß. Man wird sich hoffentlich nicht allzusehr von dem nichtssagenden Thema „Risse in Deutschland“ beeindrucken lassen. Unsere Leser in Kassel sollen sich das ruhig einmal anschauen.

A propos „(Hirn)Risse in Deutschland“: Der Berliner Senat hat der (reichlich faulen) Kompromißlösung im Falle Kresnik zugestimmt. Der Bremer Tanzchoreograph, den – wir berichteten – die Damen und Herren von der CDU-Fraktion, aber auch einige Damen und Herren Genossen wegen seiner linken politischen Einstellung nicht engagieren wollten, wird nun in den kommenden drei Jahren zu Gastspielen an die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz kommen können. Pro Jahr stehen für diese Gastpiele drei Millionen Mark zur Verfügung.

Kresnik kann nun also, einigermaßen versöhnt mit dem Berliner kulturpolitischen Provinztheater, in die morgige Premiere gehen. Titel: „Rosa Luxemburg – Rote Rosen für Dich“.