"Da muß sich etwas ändern!"

■ Am Mittwoch abend gründete sich die "Bürger- und Stadtpartei Berlin" / Bürgertum und Mittelstand sollen vertreten werden / Protest noch ohne Programm

Eben waren sie alle noch einfache Mitmenschen, jetzt reden sie davon, wie „dem Bürger“ nahezukommen sei. Bei der Gründungsversammlung der „Bürger- und Stadtpartei Berlin“ (BSP) am Mittwoch abend fühlten sich 27 anwesende Neumitglieder schon als PolitikerInnen. Motor der neuen Partei ist Dr. Bernd Ramm. Graues Jackett, rosa Hemd mit blauen Knöpfen, gelbe Fliege — „als Konzession an das Bürgertum“. Das nämlich soll die neue Partei in Zukunft prägen, Bürgertum und Mittelstand will man vertreten. Der 53jährige ist gelernter Physiker und seit 25 Jahren Sozialdemokrat.

Zwar will man die verkrusteten Altparteien aufbrechen, aber als Vorsitzender wird dann mit großer Mehrheit Ramm gewählt, weil er Erfahrung hat. Die Satzung sieht 19 Vorstandsmitglieder vor – eine Volkspartei will man sein, und das schließe kleine Leitungsklüngel aus. Schon bei der Wahl der BeisitzerInnen sind nur noch 22 Personen im Raum – souverän befördern sich fast alle in den Rang des Vorstandsmitgliedes. „Das wird einmal ein wichtiger Posten, wenn wir in dieser Stadt etwas zu sagen haben“, ermuntert Ramm die Anwesenden zur Kandidatur. Viele haben noch am Morgen nicht gewußt, daß es die Partei überhaupt geben soll. In der Zeitung lasen sie über die geplante Gründung, kamen abends ins Restaurant „Dalmacia“ am Kaiserdamm und waren zwei Stunden später stellvertretende Vorsitzende. Da ist der 29jährige kaufmännische Angestellte, der sich bislang nicht um Politik gekümmert hat, aber Vertrauen in die Partei mitbringt, denn sein Vater hat am Programmentwurf mitgearbeitet.

Da ist ein Kleinunternehmer, der einzige aus dem Osten, der „den Etablierten Paroli bieten“ will. „Wir sind doch die einzige echte Volkspartei in Berlin“, ruft er den Anwesenden zu. „Ja, aber wir sind nur 27“, dämpft eine Frau den Überschwang. Da ist der gelernte Friseur, der heute als Pförtner arbeitet. Seit 20 Jahren wählt er CDU. In der Zeitung hat er von der BSP gelesen, und nach dem Erfolg der Hamburger Statt Partei will er hier mitmachen und schließt eine Kandidatur fürs Abgeordnetenhaus nicht aus.

Eine Krankenschwester aus dem Virchow-Krankenhaus fühlt sich für den Gesundheitsbereich zuständig, ein Knastbeamter, der durch „Radio Energy“ von der Gründung erfahren hat, für den Bereich Innere Sicherheit. Sie alle betonen, „die Dinge verändern zu wollen“.

Arno H., 25 Jahre und Student der Technischen Fachhochschule, kam skeptisch interessiert zu der Versammlung. Vom Outfit her eher ein Grüner, will er hier praktische Politik machen. Ihn stören die Verkrustung bei Versammlungen der Altparteien, der Profilierungsdrang der Bezirksfürsten. „Wenn mir das hier zu rechts wird, bin ich bald wieder weg“, meint er, aber am Ende des Abends sitzt er mit im Vorstand.

Ziel: Mobilisierung des Protestpotentials

Zur Diskussion, was wie geändert werden soll, kommt es an diesem Abend nicht mehr. Man hat sich Gedanken gemacht – ein 20seitiger Programmentwurf liegt immerhin vor. Meist pragmatische, selten spektakuläre Vorschläge in verschiedenen Themenbereichen. „Demokratie stärken. Politikern Beine machen, Reps und PDS verhindern!“ steht als Motto auf einem großen Plakat. Ziel: Mobilisierung des „Protestpotentials“, das sich bei den großen Parteien nicht mehr wiederfindet. Der Erfolg der Hamburger Statt Partei scheint den Stadtbürgern recht zu geben – und das wissen nicht nur sie.

In diesen Wochen gründen sich gleich drei neue Parteien. Da entstanden vergangene Woche die „Demokraten für Deutschland“ weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Am 13. November gründet sich die Wählergemeinschaft „Wähler in Berlin“ (WiB). Deren Mitinitiator Michael Thieme, ehemaliger Bezirksparlamentarier der CDU in Reinickendorf, guckt am Mittwoch abend auch bei Bernd Ramms BSP über die Schulter.

Inhaltlich, so versichert er, gebe es zwischen beiden gar keine Unterschiede. Er sei auch enttäuscht darüber, daß man nicht gleich etwas habe zusammen unternehmen können, vermutet aber, daß Ramm „seine Sache“ erst mal durchziehen wollte. Alle drei halten sich die Möglichkeit offen, bei den Abgeordnetenhauswahlen im übernächsten Jahr in gemeinsamer Liste zu kandidieren. Denn vor allem kommt es darauf an, bei den Wahlen nicht unter fünf Prozent zu bleiben. Bernd Pickert