Orange Schlaghosen, American Pie

Wie das schon klingt: „Pull my Daisy“ – Zwei Filme von Robert Frank im Kreuzberger fsk-Kino  ■ Von Dorothee Wenner

An den Bahnhöfen und Springbrunnen großer Städte boten sich im vergangenen Sommer oft gespenstische Szenen. Junge Teens lungerten herum wie retortenmäßige Remakes ihrer Eltern. In orangen Schlaghosen, mit Schlapphüten, Peacezeichen und Gitarren, „American Pie“ singend. Ältere Vorbeiflanierende konnte man gelegentlich beobachten, wie sie entsetzt das Weite vor den Wiedergeborenen suchten.

Damals, zu goldenen Hippie- Zeiten, war die Provokation das Andere – im Digital-Age schockt die Perfektion der Kopie des ältergewordenen Selbst. Die Beteiligten dieses latenten Generationenkonflikts haben jetzt Gelegenheit, im Kino gemeinsame Geschichte zu erforschen, nach ihren Wurzeln zu suchen. Das fsk-Kino zeigt Filme des legendären Fotografen und Filmemachers Robert Frank, dessen 28minütiger Schwarzweißfilm „Pull my Daisy“ als das klassische Porträt der Beat-Generation gilt. 1959 gedreht, entstand dieser Film in Co-Regie mit Alfred Leslie in der Prä-Hippie-Zeit, als es noch keine feste Kleiderordnung für die Avantgarde gab und die Stars – im Unterschied zu den unnahbaren Woodstock-Göttern – wie potentielle Nachbarn auftraten.

„Pull my Daisy“ spielt in einer ans Gutbürgerliche grenzenden New Yorker Wohnung, mit Küche, Sofa, Gardinen und einem kleinen Jungen, der des Morgens von der Mama in die Schule geschickt wird. Kaum ist er aus dem Haus, kommt Besuch. Jede Menge. Künstler-Freunde, unter ihnen Allen Ginsberg, und sie alle amüsieren sich biertrinkend den lieben langen Tag und philosophieren über Kakerlaken, Baseball oder öffentliche Verkehrsmittel. Auch ein etwa zwanzigjähriger „Bischof“ in einem schicken, weißen Anzug und seine Mutter gehören zu der illustren Clique. „Immer nur dieses Beatniks im Haus!“

Frank und Leslie haben „Pull my Daisy“ ohne Ton gedreht, im fertigen Film werden sämtliche „Rollen“ von Jack Kerouac gesprochen. Es ist eine leichtfüßige Improvisation des 3. Akts von Kerouacs Theaterstück „The Beat Generation“, ein assoziativer Text mit viel Musik, zu einer genialen Montage bzw. Demontage kleinbürgerlicher Lebensweisen. Schwenks über den Fußboden und diverse Einrichtungsgegenstände wechseln mit Szenen der turbulenten Konversation, die von einer wackligen, trotzdem sehr präzisen Handkamera aufgenommen worden sind. Was draußen auf der Straße passiert, sieht man nur durch lange nicht geputzte Fensterscheiben. Dieser natürliche Filter konzentriert den Blick auf die wichtigen Kleinigkeiten in den Innenräumen des Alltags, über die es sich aufzuregen lohnt und prima lästern läßt. Frei von jeder Interpretation führt „Pull my Daisy“ ganz nah an den unmittelbaren Ursprung eines rebellischen Mythos, der erst in den Hippie-Jahren seinen extrovertierten, weltumspannenden Gestus annahm. In Wirklichkeit begann also alles im Wohnzimmer.

„Hunter“ ist ein 37minütiger Dokumentarfilm von Robert Frank, der 1989 im Ruhrgebiet spielt, was vielleicht so sein mußte, weil das Filmbüro NRW diesen Film gefördert hat. „Hunter“ (Stefan Balint) reist im Auto durch die Gegend rund um Duisburg und trifft auf Einheimische, deren Merkwürdigkeiten andere Einheimische oftmals übersehen, weil die ethnologische Distanz fehlt. Zum Beispiel Jäger, Sparkassenfilialleiter inmitten ihrer trostlosen Büromöbel, enthusiastische Roggenbrötchenverkäuferinnen oder eine Dame, die mit filigranen Hitler- und Elvis-Presley-Bronzestatuetten handelt. Sie alle verwickelt „Hunter“ in Gespräche, die schon allein durch das englisch-türkisch- deutsche Sprachwirrwarr etwas Absurdes bekommen.

Was zuerst wie die zufällige Chronik eines Tagebuchfilms wirkt, entwickelt sich allmählich zur zielstrebigen Erforschung jener westdeutschen Industrielandschaft, durch die Fremde in aller Regel so schnell durchbrausen, wie es die Staus auf den Autobahnen zulassen. Der cinematographische Kontrapunkt zu dieser verbreiteten Angst vorm Ruhrgebiet sind all die Spielfilme und Krimis, die die Zechen, Schornsteine und Kanäle als exotische Kulisse romantisieren. Robert Frank unterwandert in seinem Film die bekannten Extreme und Klischees vom Ruhrgebiet, wenn er mit einem sicheren Gespür für bewußtseinsprägende Orte die „Interviews“ in funktional eingerichteten Hotelzimmern, sauberen Großküchen oder modernen Bäckereien stattfinden läßt. „Ich hätte zu Hause bleiben sollen“, seufzt „Hunter“ einmal, und in dieser momentanen Kapitulation vor dem Reiseziel liegt eine echte Sympathie für die Menschen, die dort, in Duisburg, zu überleben verstehen. Theoretisch hätte auch der Tourismusminister von NRW diesen Film fördern können: Man bekommt Lust, mal wieder dort hinzufahren, wo „durchgedreht“ und „bodenständig“ komplementäre Charaktereigenschaften zu sein scheinen.

Robert Frank: „Pull my Daisy“ und „Hunter“ (OmU): Vom 28.10. bis 3.11., um 22 Uhr, als Doppelprogramm im fsk, Wiener Str. 20.