Zwischen den Rillen
: Dandy und Dando

■ Das große Babababababa mit den Afghan Whigs und den Lemonheads

Die Haare sind geschoren, und der Maßanzug kommt elegant: Greg Dulli von den Afghan Whigs betreibt seit vier Jahren intensiv seinen Imagewandel vom holzfällernden Grunge-Rocker aus der amerikanischen Provinz zum feinen, Soul-Flair ausstrahlenden Musiker von Welt. Es muß etwas mit seiner schon lang eingestandenen Besessenheit für amerikanischen Soul der sechziger und siebziger Jahre zu tun haben, eine Zuneigung, die sich letztes Jahr in einer EP mit Coverversionen von Soulgrößen wie den Supremes, Al Green und Percy Sledge niederschlug (und Dulli auch schon mal erklären ließ, die Afghan Whigs seien „definitiv eine Soulband“).

Die fing 89 in Cincinnati/Ohio mit einer Musik an, die zu jener Zeit schon die erste Patina ansetzte, aber in den darauffolgenden Jahren erst ihren Siegeszug um die Welt antrat. Dulli und Mitstreiter haben aber schnell alle nach „Grunge“ klingenden Zwangsjacken abgestreift und sind jetzt mit ihrem dritten Album bei einer manchmal coolen, manchmal abgehangen-zurückgenommenen Rockmusik gelandet. Soul bedeutet bei den Afghan Whigs Stimmung und Emotion – sowie Liebe als das allseits beherrschende Thema.

„Gentleman“ ist Greg Dullis vorläufiger Endpunkt einer Selbstfindung als Musiker und, was wichtiger ist, als Mann. Tief wird im Innern gewühlt und dabei versucht, die Beziehung zum anderen Geschlecht zu analysieren. Von Eleganz ist an dem Punkt natürlich keine Rede mehr. Dulli funktioniert seine Songs zum Ventil um, aus dem er die ewig gleichen Gefühlsstaus abläßt.

Das führt in „Be Sweet“ zu kleinen Ansprachen an die Ladies, zu Klarsichtigkeiten wie „I Got A Dick For A Brain, And My Brain Is Gonna Sell My Ass To You“; und mündet später in dem Wunsch, das ach so „kleine (Über) ICH“ zu finden, das leider zu selten dem Es in die Parade führt – autodidaktische Psychoanalyse in Singer/Songwriter-Manier, die nicht auf der berühmten Couch endet (na ja, wer weiß das schon!?), sondern in einem Musikstudio. Gerade wegen dieser Seelenbeschau und den daraus folgenden Schuldeingeständnissen ist Dulli allerdings auch wieder willens und manns genug, sich (ironisch?) als Gentleman hinzustellen, und das auch noch (im gleichnamigen Song) unterstützt von den typisch vielschichtigen Whigsschen Gitarren, schmachtend-verzweifelt hinauszuschreien.

Das Album strahlt trotz dieser Irr- und Wirrnisse musikalisch geradezu Ruhe und Erhabenheit aus. Ganz wohldosiert werden die dramatischen Momente eingesetzt, wahre Ausbrüche gibt es eigentlich nur in den Songs „Gentleman“ und „Now You Know“. Öfters beschleicht einen das Gefühl einer zwanghaften Gebremstheit, durch die das flirrende, über- und auf- und nebeneinandergelegte Gitarrenspiel der Band dem Dullischen Gesangsduktus untergeordnet ist.

Was nicht das schlechteste ist. Denn „Gentleman“ reicht für alle Schauer und Gänsehäute auf dem Rücken, die man sich nur wünschen kann: Schmachtfetzen erster Güte, die jeden, Mann wie Frau, mit oder ohne Verständnis (das nicht unbedingt die Prämisse zum Gutfinden dieses Albums sein muß), durch den Psychogarten von Dulli führen. Der Höhepunkt ist das Instrumental am Schluß, wo ein Cello sich durch die Gitarren spielt, Melodien und Musik sprechen läßt und alle Worte erstmals zu Schall und Rauch erstarren.

„Gentleman“ ist die Platte wider den Zeitgeist, wider das Gemeinschaftsgefühl, aber auch wider alle gereckten Mittelfinger und Fuck Offs, wider alle Kurts und Evans und Daves. Popmusik, die als Kommunikationsmittel mit dem Selbst dient und mehr bedeuten soll als ein Erweisen von Reverenzen. Oder ein Reden über Bäume.

Männer mit Frauen, Männer ohne Frauen: Ein letzterer ist Evan Dando, everybody's darling seit einigen Monaten, in denen er eine Tour de Force durch alle Magazine und Feuilletons dieser Welt gemacht hat, seien sie rot oder schwarz, für die Frau oder den Mann, langweilig-bieder oder dem ehemaligen „Zeitgeist“ verpflichtet. Dort durfte good young Evan in erster Linie oft und viel verkünden, ein Mann ohne Frau zu sein, heißt: ohne Beziehung und ständige Begleitung.

Dementsprechend einfacher gestrickt sind die Botschaften auf seiner (oder der der Lemonheads, wie man will) neuen Platte „Come On Feel The Lemonheads“. Dando begnügt sich damit, ausgewählten Freundinnen mit einiger Grandezza seine Songs zu Füßen zu legen: „It's About Time“ dem langjährigen Teilzeitmitglied der Lemonheads, Juliana Hatfield (deren genaueres Verhältnis zum Lemonheads-Kopf immer noch auf Enthüllung wartet), „I'll Do It Anyway“ Belinda Carlysle – wo immer Dando auch deren Bekanntschaft gemacht haben mag.

Die Songs auf „Come On Feel“ sind alle durchweg... gut, ja, gut und nett bewegen sie sich in dem Rahmen, den R.E.M. oder die Reivers schon Mitte der Achtziger vorgaben: Traditioneller Singer/Songwriter-Rock, teilweise nah am Mainstream, teilweise nah am Folk, kleine, manchmal sehr schnell zu konsumierende Häppchen, manchmal immer wieder aus den Fingern (und Ohren) rutschende Petit- Fours, die dann von Dando und der ihn unterstützenden Medienmeute (Thema: Wie baue ich einen netten, sympathischen und ein wenig den Wilden spielenden jungen Mann aus bürgerlichem Hause zu einem Jugend-der- Neunziger-repräsentierenden- Pop-Star auf) zu einer großen love-peace-and-happiness-Orgie verwurstet werden.

„Against violence“ steht unter „big-gay heartet“, wie selbstverständlich, aber auch logisch-konstruiert. Alles ist gut und wird schon werden. „Come On Feel“ schadet nicht, tut niemandem weh, und wenn in „Dawn Can't Decide“ im gemischten Doppel mit Juliana Hatfield das große Babababababababababa angestimmt wird, dann ist die Lemonheadsche Welt schwer in Ordnung.

Das ist nicht sehr viel, aber natürlich gefällt einem ein Evan Dando auf jeder Litfaßsäule immer noch mehr als alle Cruise, Schwarzeneggers und Markey Marks zusammen. Mit den Lemonheads als niedlichen kleinen Schwestern von Nirvana kann es dem Rock in den obskuren Neunzigern so schlecht auch wieder nicht gehen. Gerrit Bartels

Afghan Whigs: „Gentleman“ (WEA)

Lemonheads: „Come On Feel The Lemonheads“ (Eastwest/Atlantic)