„Wer sind die Verräter unter uns, bespitzelt die Türkei?“

■ Das türkische Fernsehen diffamiert den taz- und Fernsehkorrespondenten Ömer Erzeren

Die Stimme der Kollegin auf dem Anrufbeantworter klang freundlich, aber bestimmt: „Mein Liebster, du bist gestern abend im Fernsehen als Vaterlandsverräter und als innerer Feind, dem man das Hanwerk legen muß, denunziert worden.“ Es folgten weitere Dutzende Anrufe. Solidaritätsbekundungen von Freunden, Warnungen von Leuten, die es angeblich gut meinen, und Drohungen von Anonymen, die es offensichtlich nicht gut meinen. Während ich mich zu Besuch bei Freunden genüßlich dem Konsum von Rotwein hingab, war ich im staatlichen Sender TRT als Bösewicht und Schurke entlarvt worden.

„Perde Arkasi“ (Hinter dem Vorhang) heißt das Nachrichtenmagazin, das zur Hauptsendezeit im ersten Programm des Staatssenders TRT läuft. Auf „allgemeinen Wunsch“ wurde es mehrfach wiederholt, so daß auch ich die Gelegenheit bekam, das Programm anzuschauen.

Bereits zu Beginn der Sendung fuhr mir der Schrecken in die Glieder: „Wir werden die neuen bösen Kräfte entlarven. Wer sind die Verräter unter uns? Wer bespitzelt die Türkei? Wer ist Arm in Arm mit dem Feind?“ Dann ging der Macher des Programms, Ertürk Yöndem, zur Sache. Auszüge aus einem Fernsehbeitrag über kurdischen Alltag in Istanbul und staatliche Repression, den ich zusammen mit Wiltrud Kremer gedreht hatte und der anläßlich des Kohl- Besuches in der Türkei vor wenigen Monaten im SWF und im HR lief, wurden dargeboten. Ein kurdischer Interviewpartner klagte über Polizeigewalt gegen Kurden.

„Dies sind die bösen, konspirativen Nester“, kommentierte Ertürk Yöndem. Obwohl auch eine Türkei-Sendung des Schweizer Fernsehens und ein Beitrag von 3sat über Kurden in Izmir gehässig von Ertürk Yöndem kommentiert wurden, hatte er es insbesondere auf die „türkischen Kollaborateure“ abgesehen. Die Kamera zoomte auf meinen Namen, und Yöndem sprach: „Die Kreuzritterarmee greift an sensiblen Punkten an. Einige Kollaborateure unterstützen die Aggression. Nur wenn wir die bösen und konspirativen Nester kennen, können wir das Spiel durchkreuzen.“

Die Sendung kann auch als Aufforderung an die Staatsanwälte der Staatssicherheitsgerichte verstanden werden. Wer kann die „bösen und konspirativen Nester besser ausräuchern als die Exekuteure der politischen Justiz? Der Einfachheit halber hat der werte Kollege gleich den Straftatbestand mitgeliefert, wie die Anklageerhebung auszusehen hat. Schließlich ist es mein Ziel, „den Bruderkampf anzuheizen und den türkischen Staat zu spalten“.

Ertürk Yöndem ist ein Programmacher, der schon so manchen aufs Schafott geführt hat. Nicht die Starken und Mächtigen. Sondern die Schwachen, die Unterdrückten. Am liebsten filmt er Menschen, deren Rückgrat in Polizeigewahrsam gebrochen ist. „Bereust du?“ fragt er den gefangengenommenen Kurden wie ein Verhörexperte der politischen Polizei. „Ich bereue“ heißt die Antwort. Falls er nicht bereut, wird einfach nicht gesendet, und die Zukunft des Interviewpartners wird nicht rosig sein. Er hat schon so manche zum Bereuen gebracht: Schwule, Straßenhändler und kleine Diebe. Von der Polizei beschlagnahmtes Filmmaterial und Fotos werden in seinen Programmen gesendet, noch bevor die Richter es gesehen haben. Kollegen munkeln ohnehin, die geistige Reife Ertürk Yöndems reiche nicht aus, um ein Nachrichtenmagazin zu produzieren. Vielmehr gestalte der türkische Geheimdienst das Programm in eigener Initiative. Für diese These spricht, daß Yöndem der türkischen Sprache nicht mächtig ist und sich in jedem dritten Satz ein Grammatikfehler findet.

Als Sequenz zwischen den Beiträgen bevorzugt er die türkische Flagge. In seiner letzten Sendung führte er eine neue Zwischensequenz ein: Eine dicke Frau singt das patriotische Lied „Die Macht des Türken ist unendlich“. Yöndem hat in seiner letzten Sendung nicht nur den inneren Feind in der Gestalt des taz-Korrespondenten entlarvt, sondern er hat auch über die äußeren Feinde aufgeklärt: Nacheinander wurden Rußland, Armenien, der Iran, der Irak, Syrien, Griechenland und Bulgarien als äußere Feinde dargestellt. Für die in Geographie unkundigen Leser sei angemerkt, daß es sich um alle Staaten handelt, mit denen die Türkei eine gemeinsame Grenze hat. Da erfahren wir, daß sich die Russen schon immer Anatolien einverleiben wollten und die Armenier ein Großarmenien errichten wollen. „Unsere Nachbarn haben Angst vor der großen Türkei. Nicht nur unsere Nachbarn. Auch einige Länder in Europa“, heißt es.

Die Paranoia des Programmachers kennt keine Grenzen. Die ganze Welt hat sich gegen die Türkei verschworen. KGB-Agenten zetteln Aufruhr am 1. Mai an, Griechen dirigieren kurdische PKK-Guerilleros. Ausgesprochen erheiternd sind die Tatsachenbehauptungen Yöndems. Zur Probe: „Die Hälfte der Einwohner im Iran sind Türken“ oder „Saddam Hussein hat drei Millionen Türken im Irak unterdrückt“.

Der Kamera-Assistent von einst hat es trotz seines unsäglichen Türkischs und seiner Dummheit zu etwas gebracht und bewegt heute die nationalistischen Herzen von Millionen. Die unverfrorene Lüge ist eben auch ein Instrument des Propagandakrieges.

Unangenehm ist es schon, wenn man zur Zielscheibe des Fernsehens wird. Und unangenehm sind auch die Drohungen. Doch ich danke Allah, daß er vernünftige Menschen geschaffen hat, wie zum Beispiel meine Nachbarn. „Jahrelang haben wir eine giftige Schlange an unserer Brust genährt, und wir wußten nichts davon“, sagte einer, und die ganze Runde im Kaffeehaus am Bosporus lachte. Ömer Erzeren/Istanbul