Ein neues Atom-Ei für Garching?

■ Bayern plant ersten Reaktorbau nach Tschernobyl

München (taz) – In Bonn wird heftig um den neuen Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) von Siemens/Framatome gestritten. Die noch vagen Pläne, in Bayern ein Demonstrationsmodell hinzustellen, hat die Atomkraftgegner aufgeschreckt. Ein wesentlich weiter gediehenes Projekt, der Neubau eines Forschungsreaktors in Garching, ist dagegen noch weitgehend unbekannt.

Heute beginnt das Einwendungsverfahren für den ersten Reaktorneubau in Deutschland nach der Tschernobyl-Katastrophe. Am Standort des alten Atom-Eis in Garching will die TU München einen neuen Forschungsreaktor (FRM II) mit der fünffachen Leistung (20 Megawatt) errichten. Die Planungen gehen bis Anfang der achtziger Jahre zurück. Hatte es lange so ausgesehen, als würde sich das Projekt im Gestrüpp von Planungs- und Finanzierungsproblemen verfangen, legte die CSU- Landesregierung seit Anfang des Jahres ein schärferes Tempo vor.

Im Februar wurden das Raumordnungsverfahren und das atomrechtliche Genehmigungsverfahren eingeleitet. Anfang Oktober gab die Regierung von Oberbayern grünes Licht. Sie setzte sich damit über die rund 15.000 Einwendungen hinweg, die GegnerInnen der Anlage gesammelt hatten. Umweltminister Gauweiler setzte die öffentliche Auslegung der Antragsunterlagen nur zwei Wochen später für die Zeit vom 29.Oktober bis 29.Dezember fest.

Der alte Reaktor muß nach Auffassung seiner Betreiber ausrangiert werden; vor allem aber ist er wegen seiner geringen Zahl erzeugter Neutronen für die Wissenschaftler nicht mehr attraktiv genug. Eine neue Neutronenquelle für Materialforschung und die Bestrahlung von Tumoren müsse her, so die Anhänger des Projekts. Unter der Hand räumen beteiligte Wissenschaftler aber ein, daß die Tumorbehandlung in der Praxis eine untergeordnete Rolle spielt.

Die GegnerInnen kritisieren vor allem das Genehmigungsverfahren und die mangelnde Sicherheit der Anlage. So sei das Raumordnungsverfahren ohne die vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden. Es sei auch kein Sicherheitsbericht vorgelegt worden, so Christina Hacker vom Münchner Umweltinstitut. Die KritikerInnen, darunter die Landeshauptstadt München und zahlreiche Nachbargemeinden, befürchten, daß bei einer Kernschmelze große Teile des radioaktiven Inventars freigesetzt werden könnten. So ist der geplante FRMII, anders als Leistungsreaktoren, nicht gegen den Absturz schwerer Flugzeuge gesichert. Dabei befinden sich im Umkreis von 50 Kilometern nicht weniger als 14 Flug- oder Landeplätze, darunter der Großflughafen MünchenII.

Der Staatsregierung geht es in Garching um die Sicherung des Industriestandortes Bayern. Die grüne Landtagsabgeordnete Ruth Paulig sieht das Projekt dagegen eher als Hilfe für die darbende Siemens-KWU. Die „alte CSU-Siemens-Connection“ wolle den Reaktor, um den technologischen Fadenriß bei der KWU zu vermeiden. Ganz nebenbei wäre der Neubauauftrag für mehr als eine halbe Milliarde Mark auch wirtschaftlich lukrativ. Karl Amannsberger