„Das Ganze ist ein Hammer“

Die Kritik kommt fundamental: Brigitte Mohnhaupt wirft in einem dreiseitigen Brief dem gegenwärtigen RAF-Kommando „blanke Entpolitisierung“ vor. Und die Konsequenz folgt logisch: Mohnhaupt und andere langjährige Gefangene der RAF kündigen ihre Beziehung zur Kommandoebene, weil die sich auf einen „Deal“ mit Politikern zur Freilassung inhaftierter Terroristen eingelassen habe. Bleibt die Frage, ob das RAF-Kommando sich nun völlig auflöst oder in Fraktionen zersplittert. Kinkels auf Spaltung projektiete „Versöhnungsstrategie“, soviel ist sicher, hat funktioniert: Der Bruch ist da.

Der Plan war wohldurchdacht. Mit dem Anschlag auf den Knastneubau von Weiterstadt demonstrierte die RAF Ende März ihre Potenz, logistisch aufwendig aktiv sein zu können. Damit beruhigte sie die linksradikale Szene, die nach den Deeskalationserklärungen des Jahres 1992 am revolutionären Elan der Untergrundgruppe zu zweifeln begann. Und sie weckte die Bonner Politik, die im Begriff war, die Auseinandersetzung mit der RAF erneut allein den Staatsschutzbehörden zu überlassen. Der Boden schien bereitet für einen neuen Anlauf für eine unblutige Einigung.

Im Mai setzte sich als Vermittler der frühere Baader-Meinhof-Anwalt und Grünen-Sprecher Hans- Christian Ströbele in Bewegung. Ob sein „Auftrag“ nur von den Celler RAF-Gefangenen Karl- Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Knut Folkerts oder direkt aus der Untergrundgruppe der RAF stammte oder von beiden, bleibt vorerst sein Geheimnis. Jedenfalls sollten die politischen Entscheidungsträger nicht direkt, sondern von Persönlichkeiten angegangen werden, bei denen ein hohes Interesse an der Beendigung des Konflikts vermutet werden konnte. Von Edzard Reuter, dem Daimler- Benz-Chef, weil deutsche Spitzenmanager in den vergangenen zehn Jahren zu den bevorzugten Zielen der RAF gehört hatten (auch Reuter selbst stand angeblich auf einer Liste möglicher Opfer).

Und von Ignatz Bubis, weil der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland eine politische Konzentration auf Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wünschen muß. Beide hätten den Politikern Mut für eine „nichtmilitärische“ Lösung einhauchen können. Zumal dann, wenn sich die beiden hochangesehenen Herren auch öffentlich für eine politische Initiative stark gemacht hätten.

Doch die Beteiligten hatten ihre Rechnung ohne Klaus Steinmetz gemacht. Weder die Untergrundgruppe noch die Celler Gefangenen, noch die prominenten Vermittler konnten ahnen, daß das Interesse der Politik und des Staatsschutzes an einer „Gesamtlösung“ gegen Null tendierte, weil es erstmals gelungen war, einen V-Mann nahe dem Kommandobereich der RAF zu plazieren. Der Treff-Termin Steinmetz-Hogefeld Ende Juni in Mecklenburg-Vorpommern stand bereits fest, als Edzard Reuter in Sachen RAF bei Helmut Kohl und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgesprochen haben soll. Die Initiative kam – für die Vermittler schwer nachvollziehbar – nicht in die Gänge. Statt dessen: das Desaster von Bad Kleinen.

Der Verfassungsschutz, so scheint es, hat bei der Initiative entgegen der Darstellung im Brief von Brigitte Mohnhaupt höchstens eine marginale Rolle gespielt. Mehrere Landesämter zeigten sich gestern „überrascht“ von der Darstellung in dem Mohnhaupt-Schreiben. Das ganze sei „ein Hammer“. Das Ende der RAF mochte nach dem spektakulären Bruch zwischen der Gefangenenmehrzahl und der Untergrundgruppe dennoch niemand bejubeln.

Die Frage sei, ob sich nun „die Reste der Kommandoebene auflösen oder ob sich dort die Fraktionierung fortsetzt“. Im Bonner Justizministerium wird die Einschaltung von Reuter und Bubis grundsätzlich bestätigt. Allerdings sei „die Bewertung falsch“, die Brigitte Mohnhaupt namens aller Gefangenen mit Ausnahme der Celler vorgenommen habe. Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger gehe es nach wie vor darum, „im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten“ zur Deeskalation beizutragen.

Einen RAF-Anschlag der gegenwärtigen Kommandogruppe „zugunsten“ der gegenwärtigen Gefangenen kann es nach dem nun vollzogenen Bruch nicht mehr geben. Der harsche Vorwurf der Gefangenengruppe um Brigitte Mohnhaupt gegen das RAF-Kommando lautet: „Blanke Entpolitisierung.“ Will heißen: Seit die RAF Aktionen ausschließlich vom Verhalten des Staates gegenüber den Gefangenen abhängig mache, gebe es „eine eigene politische Bestimmung und Konzeption der RAF nicht mehr“. Die bewaffnete Aktion werde zur Handelsware bei der „Aushandlung der Bedingungen zur Abwicklung linker Militanz.“

„Wenn sie (die RAF, Red.) jetzt ankündigen“, schreibt die Inhaftierte Eva Haule in einem der taz ebenfalls vorliegenden Brief, „den Schritt von April '92 (Verzicht auf tödliche Attentate, Red.) praktisch aufzuheben, begründet mit unserer Gefangenensituation – dann tragen wir das nicht mit.“ Die Trennung von der gegenwärtigen RAF ist endgültig, Anschläge aus Solidarität mit den Gefangenen werden abgelehnt. Doch eine grundsätzliche Absage an bewaffnete Aktionen bedeutet dies gerade nicht.

„Der bewaffnete Kampf ist auch in der jetzigen historischen Situation eine Option für revolutionäre Kräfte“, schreibt Eva Haule, „aber die Entscheidung dafür kann nur aus einer Vorstellung für den gesamten politischen Prozeß und seiner Funktion darin kommen.“ Und Brigitte Mohnhaupt ergänzt: Sicher sei, „daß revolutionäre Politik hier nur wieder Fuß fassen können wird in einer ganz neuen Entscheidung und im bewußten Bruch mit dieser Hinterlassenschaft“. Das ist fast schon eine Aufforderung nach dem Motto „Die RAF ist tot, es lebe die RAF!“

Die Gefangenen wissen, daß die Deeskalationsstrategie der gegenwärtigen Untergundgruppe von Anfang an – insbesondere unter jungen „Revolutionären“ – heftig umstritten war. Linke Militanz ist mit dem möglichen Ende der RAF nicht von der Bühne verschwunden.

„Operation gelungen“, sagte gestern verbittert einer der RAF-Anwälte unter Hinweis auf die sogenannte „Kinkel-Initiative“. Der Vorwurf: Das Versöhnungsangebot des früheren Justizministers sei von Anfang auf Spaltung angelegt gewesen.

Nun ist sie da. Auf der einen Seite finden sich pikanterweise gemeinsam die des „Reformismus“ verdächtigten Celler Gefangenen und die Untergundgruppe der RAF wieder, auf der anderen die anderen Inhaftierten und Teile der linksradikalen Szene. Wenn die staatlichen Behörden dies als Erfolg im Kampf gegen die RAF werten, könnten sie rasch eines besseren belehrt werden. Noch haben die Sektkorken nicht geknallt. Gerd Rosenkranz