„Dieser Mann hat uns ausgelutscht“

■ Bahnhofskinder belasten Helmut Behnel: Hasch als Belohnung für Diebstahl, Sex und Medienauftritte Von Kaija Kutter

Dieser Mann müßte „eingemauert werden, soviel Schaden hat er an den Kindern angerichtet“, sagt die Betreuerin Jaqueline Gebhardt. Die Rede ist von Helmut Behnel, jener Figur, die als selbsternannter Crash-Kid-Papa und Retter der Bahnhofskinder in den letzten zwei Jahren in den Medien Furore machte. Dafür Erzieher und Sozialarbeiter zur Verzweiflung trieb. „Wir Betreuer sind lange Zeit in einer ohnmächtigen Situation gewesen“, sagt Gebhardt. Der Mann habe eine „irre Macht“, locke die Kinder mit „Sachen, mit denen wir nicht konkurrieren können, Medienauftritte, Drogen.“

Jaqueline ist seit rund zwei Jahren Betreuerin von Nadine K., besser bekannt unter dem Namen Bonny. Die heute Siebzehnjährige, die jahrelang als Helmut Behnels engste Vertraute galt, hat vor vier Wochen beim Landeskriminalamt eine belastende Aussage gegen den 46jährigen Alt-Hippie gemacht. Auch sie sagt heute, daß dieser Mann in den Knast gehört. „Besser isses. Damit er keine anderen Kinder mehr kaputt macht.“

Sie könne bezeugen, daß Behnel mit drei Jungen im Bett gewesen sei. Einer sei zur Tatzeit zwölf gewesen, die anderen 13 und 14 Jahre alt. Sie habe sich jeweils bei Behnel im Nebenzimmer aufgehalten, jenem Teil der Eilbeker Zwei-Zimmer-Wohnung, den die Behnel-Kids als „ihr Zimmer“ bezeichnen durften. Bei den meisten Jungs sei es ihr egal gewesen, sagt Nadine. Bei dem zwölfjährigen nicht. „Der war so süß. Der war wie mein Bruder“. Als sie ihn nackt bei Behnel im Bett liegen sah, habe sie ihm gesagt, er solle zusehen, daß er sich anzieht. Dann habe sie sich Behnel gegriffen und ihn vor Wut mit dem Kopf gegen die Schrankwand geschlagen.

20 Gramm Hasch für einmal wichsen

Nadine K. ist sich bewußt, daß sie sich mit dieser Aussage auch selbst belastet, sagt sie. Aber seit sie Mitte September zusammen mit Helmut Behnel in der SAT1-“Einspruch“-Sendung aufgetreten war - eben jener Sendung, in der GAL-Referent Peter Mecklenburg bezichtigt wurde, mit einem jugendlichen Stricher vom Bahnhof Sexualverkehr gehabt zu haben - seitdem ist Helmut Behnel bei ihr unten durch. Ein SAT1-Redakteur habe diesem gesagt, daß Nadine K. Gefahr läuft, das Sorgerecht für ihre kleine Tochter zu verlieren, wenn sie öffentlich an seiner Seite auftritt. Anstatt die Warnung weiterzugeben, habe Behnel sie auftreten lassen und ihr nichts gesagt. „Ich laß' mir von diesem Wichser nicht mein Kind wegnehmen“, sagt die energische junge Frau auf die Frage, warum sie ihren früheren Weggefährten nun belastet.

Er habe auch von den Kindern Diebesgut angenommen und dafür mit Hasch bezahlt, sie selbst habe vor vier Wochen zuletzt einen „Pickel“ von Behnel bekommen, bezeugt Nadine. Auch das habe sie bei der Polizei zu Protokoll gegeben. Marcel K., ein 15jähriger, der mit Nadine bei der Kripo war, hat von dort aus bei Behnel angerufen und gefragt, ob er Hasch bekommen könne. Behnel, nach Wochen Funkstille erfreut, von Marcel zu hören, erklärte sich bereit, den Stoff vorbeizubringen. Seit der jüngsten Verschärfung des Betäubungsmittelgesetzes vom September 1992 gilt es als „Verbrechen“, an unter 18jährige Rauschgift abzugeben. Eine Tat, die mit einer Mindeststrafe von einem Jahr geahndet wird.

In Verbindung mit sexuellem Kindesmißbrauch spielt die weiche Droge Hasch offenbar eine besondere Rolle. Ein Ring von Kindesmißbrauchern im Raum Billstedt/Horn, der vor zwei Jahren aufflog, arbeitete ganz gezielt mit sogenannten „Aroma-Zigaretten“, um selbst neun- bis zwölfjährige Kinder gefügig zu machen. Auch Helmut Behnel hat sich nach Aussagen der Kinder Liebesdienste mit Dope erkauft. „Er hat uns jeden Tag bis zu fünf, sechs Gramm gegeben“, sagt Marcel, der Behnel kennt, seit er zwölf ist. Für einen Kuß auf die Wange habe er einen „Pickel“ Hasch bekommen. Eine Aussage, die die Brüder Andreas (16) und Ralf (14) W. bei der Polizei bestätigten. „Behnel hat mir 20 Gramm gegeben, damit er mir einen wichsen darf“, sagt auch der 15jährige Peter B., dessen Aussage seit Ende August bei der Staatsanwaltschaft vorliegt. Er sei damals 13 gewesen.

„Es ist verantwortungslos, wenn man Kindern überhaupt irgendeine Droge gibt“, sagt die Hamburger Kinderpsychiaterin Charlotte Köttgen. Gerade bei Kindern, die wenig gefestigt sind und kein familiäres Netz haben, würde vor der Pubertät der Weg geöffnet, aus der Realität zu flüchten, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen. Köttgen: „Egal wie gefährlich das Mittel ist, dieser Mechanismus ist gefährlich.“

Marcel, Ralf und Andreas fühlen sich von Behnel ausgenutzt. Über 30 TV-Filme hat der Mann nach eigenen Angaben in den zwei Jahren mit den Kindern vom Bahnhof gedreht. „Er hat immer Geld gekriegt, von der Presse. Da haben die Kinder nicht einen Pfennig von gesehen“, sagt Marcels Mutter Angelika Klauke. „Er hat uns übers Ohr gehauen, aber richtig“, sagt Marcel. Eine Zeit lang seien sie fast jeden Tag auf Dreh gewesen. Er habe immer nur Hasch gekriegt. Für den jüngsten Auftritt bei Stern-TV habe er ein 70-Marks-Piece bekommen. Mit versteckten Mikrophonen ge-spickt habe Behnel sie ins „Kids“ geschickt, weil das Filmen in dem staatlich finanzierten Treff für Jugendliche aus der Bahnhofs-Szene offiziell nicht erlaubt war.

„Behnel soll dahin, wo der Pfeffer wächst“, sagt Ralf. „Das war zuviel, was er gemacht hat. Der hat uns ausgelutscht.“ „Er nutzt die Kinder nur aus, und wenn sie pressemäßig nichts mehr einbringen, schiebt er sie ab“, sagt auch René S., der ebenso wie Peter B. bereits vor anderthalb Jahren ausgesagt hatte, daß Behnel den Crash-Kids Hasch gegen Hehlerware tauscht. Allerdings nahm René seine Aussage eine Woche später wieder zurück. Der Grund: Behnel habe ihm telefonisch gedroht, daß seinen Pflegeeltern etwas passiert. Da sein damaliger Pflegevater schwer krank gewesen sei, habe er „nach einigen Tagen Bedenkzeit“ seine Angaben widerrufen.

René wechselte daraufhin die Pflegefamilie, wohnt seit über einem Jahr beim Ehepaar Tietz in Rendsburg, das wohl das fragwürdigste Kapitel der Ära Behnel miterlebte. Die Tietzens hatten im Frühjahr '92 zunächst Peter B. in Pflege genommen. Nach drei Wochen nahm der damals 14jährige Peter mit einem weiteren Jungen reißaus. Im Gepäck Schmuck und andere Gegenstände im Wert von 30.000 Mark. Peter wurde an der nahegelegenen Autobahnraststätte von Behnel abgeholt, zusammen mit Nadine K. und einem weiteren Jungen flüchteten die vier gen Süden.

Rätselhafte Nicht-Verfolgung eines Schmuck-Diebstahls

Der weitere Verlauf der Geschichte gibt Rätsel auf. Pflegevater Walter Tietz telefonierte mit Behnel, um über die Herausgabe des Schmucks zu verhandeln. Er müsse erst mit seinem Anwalt sprechen, habe dieser gesagt, berichtet Tietz. Das Ehepaar erstattete Strafanzeige, in Rendsburg und bei der Kripo in Hamburg. Zwei Tage später wurde Helmut Behnel in Düsseldorf festgenommen, weil er beim Versuch, den Schmuck zu verkaufen, ausgerechnet an einen Zivilbeamten geraten war. Behnel kam in U-Haft, wurde aber nach einem Tag wieder entlassen, weil der ebenfalls inhaftierte Peter B. ausgesagt hatte, Behnel hätte nicht gewußt, daß der Schmuck geklaut war. Merkwürdig dabei: Das Ehepaar Tietz, das es aufgrund besagten Telefongesprächs besser wußte, wurde nie von der Hamburger Staatsanwaltschaft vernommen. Die zog am 12. Oktober '92 das in Kiel anhängige Verfahren an sich. Walter Tietz: „Seitdem haben wir nie wieder etwas gehört.“

Die Rendsburger Episode ließ auch in Hamburger Sozialarbeiterkreisen den Verdacht aufkommen, daß es im Fall Behnel nicht mit rechten Dingen zugehen könnte, daß andere schon für viel geringere Vergehen ins Gefängnis wandern, daß es eine „schützende Hand“ über Helmut Behnel gibt. Auch stellt sich die Frage, warum die Gefahr der Wiederholung oder der Verdunkelung von Straftaten nicht geprüft wurden. Hatte René S. doch ausgesagt, Behnel habe ihn bedroht.

Immer wieder genannt wird in diesem Zusammenhang der Name des Sprechers der Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger. Der Vorwurf, der im Raum steht: Bagger habe seine Kompetenzen mißbraucht, indem er Behnel über einen längeren Zeitraum auch beratend unterstützte. So traten die beiden Anfang März '92 in einer Radio-Sendung auf, an deren Ende Bagger sagte, man müsse Erzieher anzeigen, die ihre Aufsichtspflicht verletzten. Kurze Zeit später stellte Behnel Strafanzeige gegen vier Sozialarbeiter der SME, ein Verein für stadtteil- und milieunahe Erziehung, der die Behnel-Kinder Nadine K. und Peter B. betreute. „Wir hatten damals kein Bock auf die Erzieher“, erzählt Nadine heute. Die Betreuer hätten Zettel mit Telefonnummern hinterlegt, wo sie anrufen sollten, was Nadine und Peter nicht taten. Statt dessen waren die Kinder meist bei Behnel, der sich nach besten Kräften bemühte, den Kontakt zwischen Betreuern und Kindern zu unterbinden.

Er hätte einen „guten Berater ganz oben“, habe Behnel stets geprahlt, berichtet Marcel K. Aber Behnel erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Auch seiner kurzzeitigen Mitkämpferin Christa Ziehn von den „Löwenmüttern“ hat er angedeutet, er habe etwas gegen den Staatsanwalt in der Hand. Nachdem der GAL-Politiker Mecklenburg im Fernsehen als vermeintlicher Kindesmißbraucher geoutet war, habe Behnel wiederholt gesagt, „als nächstes ist Bagger dran“, berichtet die Vorsitzende des Müttervereins gegen sexuellen Kindesmißbrauch. Und Angelika Klauke, die in besagter „Einspruch“-Sendung Seite an Seite mit Helmut Behnel das „Kids“ am Hauptbahnhof kritisierte, bezeugt gar eidesstattlich, daß Behnel im Zeitraum von August bis Mitte September täglich bei ihr gewesen sei und in diesem Zeitraum mindestens vier Mal die Woche mit Herrn Bagger telefoniert habe. „Ich komm dann gleich vorbei“, hätte Behnel meist gesagt und Bagger geduzt. Da ihr der Name nicht bekannt war, hätte sie gedacht, Bagger wäre ein Kollege von Behnel.

„Argwohn gegen die Staatsan- waltschaft ist unbegründet“

„Da wird eine ganz miese Schlammschlacht gegen Herrn Bagger geführt“, sagt sein Vorgesetzter, Generalstaatsanwalt Arno Weinert. Es habe nie einen engen Kontakt zwischen Bagger und Behnel gegeben. Im Gegenteil, dieser habe schon vor einem Jahr gesagt, er wolle mit Behnel nicht mehr reden. Würde Behnel heute anrufen, würde Bagger an die Wand klopfen, um einen Kollegen hinzu zu holen.

Die taz hatte Rüdiger Bagger Anfang Oktober in einem anderen Zusammenhang kritisiert. Lag doch für uns die Vermutung nahe, daß er Informationen über das Vorleben Peter Mecklenburgs gezielt an Journalisten weitergegeben hat, um so die jüngste Diffamierungs-Kampagne Helmut Behnels gegen den GAL-Politiker zu untermauern. Löwenmutter-Vorsitzende Christa Ziehn hatte der taz gegenüber bezeugt, sie habe die Information von Springer-Journalisten, die sie wiederum von Herrn Bagger bestätigt bekommen hätten. Generalstaatsanwalt Weinert bezweifelt diesen Zusammenhang. „Herr Bagger hat das für mich glaubwürdig in Abrede gestellt“, und auch der in Frage kommende Journalist habe bezeugt, daß er die Information nicht von der Staatsanwaltschaft erhalten habe.

Die jüngsten Aussagen der Kinder gegen Behnel hingegen würden in die seit anderthalb Jahren laufenden Ermittlungen mit einbezogen. Weinert: „Jeder Argwohn, daß die Staatsanwaltschaft nicht richtig ermittelt, ist unbegründet.“ Zeitungsartikel könnten da nur schaden. Vertrauen in die ermittelnden Behörden täte not.

„Es ist nicht einfach abzugrenzen, ist das ein Ferkel oder nicht“

Doch Staatsanwälte sind auch nur Menschen. Gefallen sich auch schon mal in der Rolle des Gönners (Peter B.: „Bagger hat uns Freikarten für den Dom geschenkt“.) Wir unterstellen Herrn Bagger, daß er - wie viele Journalisten übrigens auch - begeistert war von der Figur Behnel (O-Ton Weinert: „Der Mann, der damals allen aus dem Herzen sprach“), daß er ihn genoß, den basisnahen Kontakt zum Milieu. Und daß er sich seine eigenen Gedanken zum Thema Kindesmißbrauch gemacht hat, Gedanken, die die fehlende pädagogische Kompetenz des Hobby-Jugendpolitikers Bagger offenkundig werden lassen und erhellen, was Jugendamts-Chefin Gitta Trauernicht meint, wenn sie sagt, daß Kindesmißbrauch von vielen noch als Kavaliersdelikt abgetan wird. Kommentar Rüdiger Baggers zur Verhaftung eines Kindermißbrauchers in der MDR-Sendung „Indiskret“ vom 15. Mai '93: „Wenn sie Kinder aus einem Milieu haben, das mies ist, wo die Familie nicht intakt ist, dann streben diese Kinder zu solchen Männern hin und lassen sich - wenn man so will - sexuell benutzen. Ob das dann noch ein Mißbrauch ist in dem Sinne, weiß man gar nicht mehr.“ Und weiter: „Der liegt mit denen im Bett, mißbraucht sie sexuell und kocht für sie, geht mit ihnen auf den Dom, spielt mit ihnen, geht mit ihnen auf Reisen. Und das finden die ganz toll. Und insofern ist es nicht einfach abzugrenzen, ist das eigentlich ein Ferkel oder nicht.“

Ist Helmut Behnel ein „Ferkel“ oder ein harmloser Kleinkrimineller? „Sie beißen sich da an einer Sache fest“, hatte Bagger jüngst zur taz gesagt. Dabei gebe es andere, gegen die viel mehr vorliegt, als gegen Behnel. Wo ist die Grenze zwischen nötiger Aufklärung und Rufmord? Bonny, Peter, Ralf, Andreas, René und Marcel haben ausgesagt. Kinder, die einen Teil ihres Weges mit Helmut Behnel gemeinsam gegangen sind und sich jetzt - mit Hilfe von außen - von ihm trennen. Kinder, die Behnel zu kleinen Medienstars aufgebaut hat, die es Behnel zu verdanken haben, daß sich kein Erzieher mehr findet, der sich die Betreuung nervlich zutraut.

„Allein, was dieser Mann an Betreuungsverhältnissen kaputt gemacht hat, das ist kriminell“, sagt ein Sozialarbeiter. Aber es ist nicht strafbar. „Obwohl wir Vieles von Behnels Straftaten wußten, konnten wir nicht aussagen, weil wir damit das Vertrauen zu den Kindern zerstört hätten“, sagt Jaqueline Gebhardt. Als Betreuer könnten sie nicht die Funktion der Polizei übernehmen. Es sei nicht möglich, zu den Kindern eine Beziehung aufzubauen und gleichzeitig zur Kripo zu gehen. „Wichtig ist, daß die Kinder selber verstehen, wie sie benutzt werden.“