Wann gehen die Lichter aus?

■ Hamburgs Aluminiumhütten stehen vor dem endgültigen Aus. HEW können Strompreis-Dumping voraussichtlich nicht durchhalten    Von Florian Marten

Der Betriebsrat fordert vorsichtshalber schon mal einen Sozialplan, das Management hüllt sich in Schweigen und die IG-Metall zuckt resigniert mit den Schultern: 1995 droht der Hamburger Aluminiumproduktion mit mehr als 1000 Metaller-Arbeitsplätzen das endgültige Aus. Anlaß: 1995 läuft ein 20-Jahres-Vertrag zwischen den Hamburger Aluminiumwerken (HAW), dem nachgelagerten Walzwerk Reynolds und den Hamburgischen Electrizitätswerken (HEW) aus. Statt bislang 2,8 Pfennig pro Kilowattstunde müßten dann legt man die üblichen HEW-Konditionen für industrielle Großkunden zugrunde, zehn bis zwölf Pfennig bezahlt werden. Bei mehr als vier bis sechs Pfennig ist die Aluminiumproduktion dann aber nicht mehr konkurrenzfähig.

Ein Streit um Pfennige? 1,7 Milliarden Kilowattstunden frißt die Aluproduktion jährlich – das sind 13 Prozent des gesamten Hamburger Stromverbrauchs und fast der gesamte Anteil Hamburgs am Strom aus dem AKW Stade. Während die Aluminium-Werke gegenwärtig pro Jahr nicht einmal 50 Millionen Mark überweisen, müßten andere Großkunden rund 200 und Hamburgs Privathaushalte gut 600 Millionen Mark für diesselbe Menge Strom zahlen.

Hinter verschlossenen Türen findet derzeit ein Pfennig-Poker zwischen HEW und HAW statt. Der SPD-Senat hat die HEW-Bosse beauftragt, die HAW fast um jeden Preis in Hamburg zu halten. Das Zuschußgeschäft der Aluminiumproduktion auf Staatskosten und mit atomarem Risiko für die Bevölkerung hat Tradition: Anfang der 70er Jahre, zeitlich abgestimmt mit dem Bau des AKW Stade, holte der Senat die HAW für mehr als eine halbe Milliarde Mark an die Elbe.

In völliger Verkennung der Stromerzeugungskosten zwang der Senat die HEW damals, einen 20-Jahres-Preis von zwei Pfennig/Kilowattstunde zu akzeptieren, der später auf lediglich auf 2,8 Pfennig erhöht werden konnte. Dieser „politische Preis“ (HEW-Insider) hat die HEW-Aktionäre und damit auch Hamburgs Steuerzahler (75 Prozent der Aktien hält die Stadt) seither jährlich erst zwei-, heute satte dreistellige Millionenbeträge gekostet.

Nun kommt es besonders schlimm: Strom aus dem Schrottreaktor Stade ist derzeit die billigste Energiequelle der HEW. Fällt sie aus, explodieren die Stromsubventionen für die HEW ins Unermeßliche. Die HEW-Unterhändler sind damit in einer Zwickmühle: Gehen sie mit dem Preis in jene Höhen, die für die HAW vielleicht gerade noch erträglich sind, drohen Subventionskosten in einer Höhe, die sich nicht mehr – wie in der Vergangenheit – einfach in der Bilanz verstecken lassen.

Das HAW-Management hat längst vorgesorgt: In Australien, Kanada und Venezuela wird mit Strompreiskonditionen von rund zwei Pfennig je Kilowattstunde gewinkt. Der HAW-Betriebsrat hat deshalb das HAW-Management aufgefordert, die Verhandlungskarten endlich auf den Tisch zu legen, andernfalls wolle man sofort in Verhandlungen für einen Sozialplan einsteigen. Auch die IG Metall weiß um das Dilemma: „Auf Dauer hat Aluminiumproduktion in Hamburg keine Chance. Aber das können doch nicht gerade wir öffentlich verkünden!“, gestand ein führender IGM-Funktionär der taz.

Was schon ökonomisch unhaltbar ist, hat auch einen kleinen ökologischen Haken. Als 1986 die Hamburger SPD versprach, „Ziel muß es sein, uns auf die schnellst mögliche Weise von der Kernenergie unabhängig zu machen“, gab sie ein Ausstiegsgutachten beim renommierten Berliner Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) in Auftrag, welches 1988 nüchtern feststellte: „Die Aluminiumerzeugung in Hamburg kann bei einem Ausstieg aus der Kernenergie nicht mehr aufrecht erhalten werden“.

Das Thema HAW, deren Flächen auch ein Ersatzstandort für die Hafenweiterung in Altenwerder sein könnten, ist in SPD, Gewerkschaften und Wirtschaftsbehörde jedoch absolut tabu. Dabei erzählte Henning Voscherau schon 1986, kurz nach Tschernobyl: „Das Risiko einer Technik, die keinen Fehler verzeiht, ist auf Dauer zu hoch. Es kommt darauf an, jetzt alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Ausstieg auch praktisch möglich zu machen.“